RE: Japans Rolle (und Schuld) im pazifischen Krieg
Nur in aller Kürze eine Information zu dieser Schulbuchdebatte. Hier und andernorts wurde immer wieder beklagt, daß die japanischen Schulgeschichtsbücher - und speziell das im Moment debattierte - dieses verharmlosen und jenes nicht erwähnen etc.
Das klingt in meinen Ohren oft so, als ob die Leute, die das - völlig zu Recht! - einfordern und beklagen, die Vorstellung hätten, daß man z. b. zu den Trostfrauen oder zu Nanking oder wozu auch immer eben ein paar Kapitel in diese Bücher aufnehmen sollte. Aber wer glaubt, daß DAS üblicherweise das Problem ist, der verkennt die Relationen. Er geht möglicherweise von seinen eigenen deutschen Geschichtsbüchern aus, in denen z. B. die Geschichte des Zweiten Weltkrieges ja doch ziemlich ausführlich behandelt wird, und wo es nicht weiter schwierig wäre, noch ein oder zwei KAPITEL zu Sachen zu ergänzen, die man gern ergänzt hätte.
Wenn man sich aber ein japanisches Geschichts-Lehrbuch zur Hand nimmt (und das sollte man auf jeden Fall einmal tun, um zu wissen, wovon man eigentlich spricht!), dann ist es üblicherweise so, daß in einem Buch von insgesamt ca. 400 Seiten sage und schreibe 4 (in Worten: VIER) Seiten sich überhaupt nur mit der Zeit des zweiten Weltkrieges befassen. Und von diesen vier Seiten widmen sich auch noch zwei dem Zweiten Weltkrieg in Europa. Es bleiben also ganze zwei Seiten für den Großen Asiatisch-Pazifischen Krieg. Und wenn man dann noch in Rechnung stellt, daß diese Seiten natürlich auch noch Karten und Fotos (z. B. obligatorischerweise eines vom zerbombten Hiroshima) enthalten, DANN hat man die richtige Vorstellung von der Sache. Eine Forderung nach zusätzlichen "Kapiteln" über einzelne Themen im Zusammenhang mit dem Krieg würde eine komplette Umstrukturierung des Lehrbuches erfordern, denn es wäre ja doch etwas merkwürdig, wenn man den Verlauf der Kriegszeit in zwei Seiten überblicksartig schildert und anschließend noch weitere Seiten mit Themen über Trostfrauen, Nanking und medizinische Experimente daranhängt.
Dieses zur Zeit debattierte Buch macht einen Schritt in diese Richtung, denn dort widmet sich tatsächlich etwa die gesamte zweite Hälfte des Buches der jüngsten Geschichte inklusive des Krieges. Das heißt, im Rahmen DIESES Buches wären Kapitel über einzelne Problemthemen durchaus nicht unangebracht. Aber wenn man weiß, wer dieses Buch geschrieben hat, dann verwundert es nicht, daß sich dazu nichts findet. Einen großen Sympathiepunkt bekommt dieses Buch in Japan aber eben doch zugeschrieben, nein - eigentlich sind es zwei Punkte: Zum einen ist es wirklich quasi das erste Geschichtsbuch, daß behaupten kann, sich überhaupt in angemessener Seitenzahl der jüngsten Vergangenheit zu widmen, und zum anderen hatte der Verlag dieses Buch, das ja schon seit Jahren kritisiert wird, in einer eindrucksvollen PR-Kampagne in die Buchhandlungen gebracht. Die Kampagne lief unter dem Slogan: "Dies ist das so verteufelte Geschichtsbuch. Wir wollen, daß Sie sich selbst ein Bild machen können. Lesen Sie und urteilen Sie selbst!" Die Kampagne war ein voller Erfolg (ich habe mir natürlich auch ein Exemplar gegriffen), hat die Kassen des Verlages und seiner Hintermänner gefüllt und außerdem eines bewirkt: Die Japaner, die dieses Buch gelesen haben, sind von der reinen Tatsache, daß dort - im Gegensatz zu allen Geschichtsbüchern, sie selber benutzt haben - die Kriegsvergangenheit viele Seiten füllt und detailliert beschrieben wird, so überwältigt, daß sie sagen: "Es mag ja sein, daß das Buch noch immer dieses oder jenes verharmlost oder verschweigt, aber es ist auf alle Fälle ein Schritt in die richtige Richtung und VIEL BESSER als die alten/anderen Büchern, die eine Beschäftigung mit dem Krieg überhaupt nur auf nur ganz wenigen Seiten betreiben. Im Vergleich zu den alten/anderen Büchern ist dieses hier ein gewaltiger Fortschritt."
Ok, ich gebe zu, daß das jetzt nicht "in aller Kürze" war, aber viel kürzer bekam ich es nicht hin.
Viele Grüße, Holger.
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