Interessantes Thema.
Ich denke, Japanisch funktioniert auf einer grundsaetzlichen, kommunikativen Ebene nicht anders als Deutsch, oder wohl jede andere Sprache auch.
Ob ich in Japanisch oder in Deutsch sage: "Ich habe Hunger", "Es regnet", "Zu teuer!" es gibt wirklich keinen Unterschied. Natuerlich sind die Sprachen anders strukturiert, aber im Prinzip geht es darum, eine Idee von einem Individuum zu einem anderen zu transportieren und das geht in beiden (allen!) Sprachen.
Allerdings, und das ist in unserem Fall die Krux: Sprachen haben oft verschiedene Muster oder meinetwegen auch "Ideen", die z.T. divergieren. Nehmen wir ein Beispiel aus dem Englischen, dass dem Deutschen vermeintlich so aehnlich ist.
Das deutsche Wort Gluehbirne heisst im Englischen "lightbulb", wie einige vielleicht wissen. Wenn wir uns die einzelnen Teile anschauen, ist "glueh" = "light", das heisst, hier wird dasselbe Phaenomen aus zwei verschiedenen Blickwinkeln betrachtet: Im Deutschen steht der Vorgang des Gluehens im Vordergrund, im Englischen das Ergebnis des "light".
Der zweite Teil des Wortes ist sogar noch interessanter: Deutsche Muttersprachler sagen "Birne" und englische Muttersprachler sagen "bulb". "bulb" bedeutet aber eben nicht "Birne" sondern (Blumen)Zwiebel, d.h. hier werden zwei verschiedene Fruechte als Muster fuer die runde Form der Gluehbirne genommen.
Dieses Phaenomen laesst sich in allen Sprachen beobachten. Sprachen sind arbitraer (willkuerlich), d.h. ich kann zur Gluehbirne auch Lichtzwiebel sagen oder noch deutlicher: Ich kann einen Apfel auch "fresd" nennen. Es ist wirklich ziemlich egal, was ich sage, solange die anderen Sprecher meiner Sprache mich verstehen. Damit sind wir dann bei der Idee von "Sprache als Vertrag zwischen ihren Sprechern". (Bei Bedarf "Ferdinand des Saussure" und "Roman Jakobson" nachgoogeln)
Aber kehren wir zu unserem speziellen Fall zurueck: Japanisch ist anders als Englisch dem Deutschen ueberhaupt nicht aehnlich. Grammatik, Vokabeln, Schriftzeichen, Satzbau, es gibt einfach nichts, was in beiden Sprachen gleich ist. Tatsaechlich sind die Ueberschneidungen beider Sprachen auf ein paar Lehnwoerter beschraenkt.
Trotzdem ist es natuerlich so, dass in beiden Sprachen Menschen das Beduerfnis haben, aehnliche Sachverhalte auszudruecken. Das ist auch die Grundlage dafuer die jeweils andere Sprache lernen zu koennen. Wie oben schon beschrieben muss es in beiden Sprachen Woerter fuer "warm", "kalt", "Hunger", "Regen" usw. geben, da diese sich aus den Lebensumstaenden der gesamten Menschheit konstituieren.
Auf dieser gundsaetzlichen Ebene setzt dann aber die arbitraere Ebene auf (kalt oder UIHK) und dann noch einmal die verschiedenen "Muster"Wahrnehmungen.
Auch im Japanischen gibt es das Wort "kalt", aber nicht nur einmal, sondern zweimal: "tsumetai" fuer kalte Gegenstaende, Fluessigkeiten usw., "samui" fuer kaltes Wetter, Luft, Umgebung. Eine Unterscheidung, die im Deutschen schlicht nicht gemacht wird. Andersherum: Deutsche unterscheiden "Blau" und "Gruen", Japaner sagen zu beidem "aoi" und zu Pflanzen "midori".
Diese beiden Beispiele zeigen, glaube ich, recht eindruecklich, wie willkuerlich Sprache auf der Ebene der "Muster" funktioniert.
Man koennte doch meinen, dass der Unterschied zwischen "Blau" und "Gruen" ganz selbstverstaendlich ist, oder nicht? Es gibt bei diesen beiden Beispielen keinen (mir bekannten) geschichtlichen oder kulturellen Grund, hier sind einfach nur die Wahrnehmungen verschieden - und arbitraer.
Doch es gibt noch eine weitere Ebene. Ich fange wieder mit Beispielen an:
Im Japanischen gibt es die Worte "Mizu" und "(O-)Yu" fuer kaltes und heisses Wasser. Deutschsprecher sehen keine Notwendigkeit fuer diese Trennung. Nun muss man wissen, dass Japan ein geologisch sehr aktives Land ist mit mehreren tausend Vulkanen, die tausende von heissen Quellen speisen. Fuer Japaner sind diese heissen Quellen nicht nur Teil ihres Lebens sondern tatsaechlich ein Teil ihrer Identitaet. Fuer etwas so Wichtiges muss es natuerlich auch ein Wort geben und siehe da: "O-Yu" bezeichnet nicht nur heisses Wasser, sondern wird auch mit heissen Quellen assoziiert.
Zweites Beispiel: Im Japanischen gibt es das Wort "pan" fuer Brot (eigentlich auch schon ein Lehnwort). Im Deutschen gibt es neben dem Wort Brot auch noch das "Broetchen" (und dutzende regionale Varianten), ein Wort das keine direkte Entsprechung im Japanischen hat. Fuer Japaner, die jahrtausendelang Reis anstelle von Brot und Kartoffeln aßen, war das ja auch nicht notwendig.
Bei diesen beiden Beispielen sehen wir, wie verschiedene Lebensumstaende die Sprache praegen. Auch hier ist Sprache arbitraer (warum "pan" und nicht z.B. "buroto"?).
Schliesslich gibt es noch das Phaenomen der unterschiedlichen Denkmuster, der tatsaechlich geschichtlich und sozial bedingten, "kulturellen" Sprachphaenomene.
Ein paar Beispiele:
Im Japanischen gibt es ein kleines Universum von Hoflichkeitsformen und Regeln der zwischenmenschlichen Kommunikation ("Kultur"), die es im Deutschen schlicht und einfach nicht gibt.
Als Beispiel bieten sich die Personalpronomen an:
Im Japanischen gibt es fuer "ich" die Woerter "ore", "boku", "watashi", "watakushi", "atashi", "atakushi", die den relativen Stand des Sprechers sowie seine soziale Position und sein Geschlecht preisgeben. "Ore" und "boku" sind zum Beispiel dezidiert "maennlich", waehrend "atashi" und "ataskushi" weiblich (und "jung") sind. "watashi" und "watakushi" sind geschlechtsneutral und hoeflich. "Ore" ist "rauh", unhoeflich. Und "atashi", "watakushi" sind - weil Frauensprache - sehr hoeflich.
Schon allein an dem Fehlen einer "unhoeflichen" Frauensprachenform fuer "ich", bzw. einer "hoeflichen" Maennersprachenform fuer "ich", laesst sich erkennen, dass Frauen im modernen Japan einen niedrigeren Stand haben als Maenner. Ausserdem sieht man auch, dass der "Stand" des Sprechers im Verhaeltnis zu seinem Gegenueber in Japan sehr viel wichtiger ist als in Deutschland (Betrachtet wird die Gegenwart).
Andersherum gibt es im Deutschen z.B. eine ganze Reihe von Erscheinungen, die es (nicht nur) im Japanischen nicht gibt: Sei es christlich-beeinflusste Sprache wie "Oh, Gott!", "Um Gottes Willen", "sich bekreuzigen", "fuer etwas bueßen" (usw.) oder auch die Unterscheidung zwischen den verschiedenen Vergangenheits- und Zukunftszeiten im Deutschen. Die Gruende dafuer liegen ganz offensichtlich in der Geschichte Deutschlands als christlich dominiertes Land, bzw. seiner Abstammung von (unter anderem) romanischen Sprachen.
Sprecher beider Sprachen werden beim Lernen beider Sprachen ab und zu nicht umhin koennen zu denken "also das braucht man nun wirklich nicht" bzw. "wieso hat meine eigene Sprache nicht so etwas Geniales?".
Aber um auf den ersten Beitrag zurueck zu kommen: Es gibt erst einmal keine allgemeine "Japanische Denkweise". Das, was du derzeit dafuer haelst, ist wahrscheinlich nur die - oeberflaechliche - Struktur der Grammatik und des Satzbaus. Aber diese konstituiert eben keine Denkweise, sondern sie ist nur eine andere Art etwas auszudruecken. Da diese Art und Weise fuer dich schwer zu verstehen ist, verwechselst du sie mit einer anderen Art zu denken.
Es gibt aber tatsaechlich einige Denkweisen, die sich unterscheiden, einige kann man im Ausland lernen (siehe meine obigen Beispiele), einige versteht man erst, wenn man lange im Land selbst lebt ("空気を読む”、”気を配る”、”義理”、”常識”, "まじめ”, ”あまえ” uvm. kann man eins zu eins nicht vollstaendig uebersetzen und versteht sie in ihrer ganzen Tragweite und Vielfalt erst im laengeren Umgang mit Japanern).
Edit: Sorry fuer den langen Text