Hallo alle miteinander!
Ich hatte mich bereits vor einer Weile hier registriert und nach dem Umzug des Forums will ich mit diesem Post meinen Einstand halten. Da es hier ja anscheinend keinen Vorstellungsbereich gibt, an dieser Stelle nur kurz: Meine Wenigkeit ist Student der Sprachwissenschaft und wird in Kürze ein Auslandsjahr in Japan verbringen. Ich habe insbesondere (wer hätt's gedacht
) Interesse an der japanischen Sprache, wiewohl mein Interesse dem Phänomen "Sprache" allgemein gilt.
Ich hoffe, man nimmt es mir nicht übel, daß ich diesen etwas älteren Post zitiere, beim Lesen des Threads kam ich einfach nicht umhin, hier ein paar Dinge anzumerken.
(09.12.08 02:59)Lori schrieb: Das deutsche Wort Gluehbirne heisst im Englischen "lightbulb", wie einige vielleicht wissen. Wenn wir uns die einzelnen Teile anschauen, ist "glueh" = "light", das heisst, hier wird dasselbe Phaenomen aus zwei verschiedenen Blickwinkeln betrachtet: Im Deutschen steht der Vorgang des Gluehens im Vordergrund, im Englischen das Ergebnis des "light".
Der zweite Teil des Wortes ist sogar noch interessanter: Deutsche Muttersprachler sagen "Birne" und englische Muttersprachler sagen "bulb". "bulb" bedeutet aber eben nicht "Birne" sondern (Blumen)Zwiebel, d.h. hier werden zwei verschiedene Fruechte als Muster fuer die runde Form der Gluehbirne genommen.
Im Endeffekt müsste man das alles in die Vergangenheit setzen, denn solche Dinge haben damals bei der Benennung eine Rolle gespielt, der heutige Sprecher aber lernt den Begriff einfach, ohne damit jetzt spezielle Assoziationen zu den Einzelbestandteilen des Worts zu entwickeln, das Wort ist einfach als fixer Begriff in der Sprache vorhanden.
(09.12.08 02:59)Lori schrieb: Aber kehren wir zu unserem speziellen Fall zurueck: Japanisch ist anders als Englisch dem Deutschen ueberhaupt nicht aehnlich. Grammatik, Vokabeln, Schriftzeichen, Satzbau, es gibt einfach nichts, was in beiden Sprachen gleich ist. Tatsaechlich sind die Ueberschneidungen beider Sprachen auf ein paar Lehnwoerter beschraenkt.
Das würde ich so keinesfalls unterschreiben. Das Japanische wird natürlich gern mystifizert als unglaublich fremd und anders (womit ich niemanden hier im Forum meine), ist aber bei näherem Hinsehen auch dem Deutschen in mancherlei Hinsicht typologisch nicht unähnlich. Im phonologischen und phonetischen System wird man Überschneidungen finden, die Morphologie ist in beiden Sprachen stark suffixlastig, Verbalkategorien überschneiden sich teilweise, beide Sprachen sind akkusativisch usw...das ist nur eine Sammlung von Dingen, die mir spontan eingefallen sind, da gibt es noch viele viele mehr. Auf der anderen Seite gibt es selbstverständlich auch viele Unterschiede. Totale Gegensätze, wie in dem Zitat propagiert, sind Deutsch und Japanisch aber nicht - Gemeinsamkeiten und Unterschiede genauer zu quantifizieren, ist natürlich schwer.
(09.12.08 02:59)Lori schrieb: Man koennte doch meinen, dass der Unterschied zwischen "Blau" und "Gruen" ganz selbstverstaendlich ist, oder nicht? Es gibt bei diesen beiden Beispielen keinen (mir bekannten) geschichtlichen oder kulturellen Grund, hier sind einfach nur die Wahrnehmungen verschieden - und arbitraer.
Nicht einmal die Wahrnehmung ist verschieden, nur die Art, wie die Wahrnehmung verpackt wird in Sprache. Auch ein Japaner kann (mental) Blau und Grün unterscheiden, selbst wenn er dafür dasselbe Wort verwendet. Es ist übrigens nicht ungewöhnlich, diese beiden Farben in ein Wort zusammenzufassen, wenn man die Sprachen der Welt betrachtet.
(09.12.08 02:59)Lori schrieb: Im Japanischen gibt es die Worte "Mizu" und "(O-)Yu" fuer kaltes und heisses Wasser. Deutschsprecher sehen keine Notwendigkeit fuer diese Trennung. Nun muss man wissen, dass Japan ein geologisch sehr aktives Land ist mit mehreren tausend Vulkanen, die tausende von heissen Quellen speisen. Fuer Japaner sind diese heissen Quellen nicht nur Teil ihres Lebens sondern tatsaechlich ein Teil ihrer Identitaet. Fuer etwas so Wichtiges muss es natuerlich auch ein Wort geben und siehe da: "O-Yu" bezeichnet nicht nur heisses Wasser, sondern wird auch mit heissen Quellen assoziiert.
Solche Zusammenhänge existieren nicht auf so simpler Basis. Rein logisch betrachtet folgt ja aus der Aussage "Wenn etwas kulturell bedeutsam ist, dann muß es auch ein eigenes (unzertrennbares) Wort dafür geben" das Folgende: "Wenn es kein eigenes (unzertrennbares) für etwas gibt, dann ist es kulturell nicht bedeutsam." Ich glaube nicht, daß die meisten letztem zustimmen würden. (Diese Sätze sind übrigens meine ungefähre Interpretation des Geschriebenen und möglicherweise nicht exakt das, was lori sagen wollte - ich will hier weißgott niemandem irgendetwas absichtlich falsch in den Mund legen). Das beißt sich außerdem mit deinem nächsten Beispiel:
(09.12.08 02:59)Lori schrieb: Zweites Beispiel: Im Japanischen gibt es das Wort "pan" fuer Brot (eigentlich auch schon ein Lehnwort). Im Deutschen gibt es neben dem Wort Brot auch noch das "Broetchen" (und dutzende regionale Varianten), ein Wort das keine direkte Entsprechung im Japanischen hat. Fuer Japaner, die jahrtausendelang Reis anstelle von Brot und Kartoffeln aßen, war das ja auch nicht notwendig.
Das ist etwas völlig anderes. Im vorigen Beispiel hast du ein sogenanntes Simplex betrachtet, aber "Brötchen" ist ja schon selbst ein komplexes Gebilde aus "Brot" und "chen". Die Japaner könnten so etwas ähnliches auch ohne Probleme bilden, etwa nach dem Motto "shoupan" ("kleines Brot"; spontane Erfindung, vielleicht gibt es das ja schon und bedeutet etwas anderes). Es gibt kein Hindernis für die Japaner, ein solches Wort zu erfinden, während Simplicia "einfach existieren" (historisch gesehen sind viele der heutigen Simplicia ja gar keine), da kommen üblicherweise vor allem durch Fremdwortimport neue hinzu. Der Grund dafür, daß sie existieren, ist aber nicht irgendeine höhere Bedeutsamkeit der bezeichneten Sache.
(09.12.08 02:59)Lori schrieb: Im Japanischen gibt es ein kleines Universum von Hoflichkeitsformen und Regeln der zwischenmenschlichen Kommunikation ("Kultur"), die es im Deutschen schlicht und einfach nicht gibt.
Als Beispiel bieten sich die Personalpronomen an:
Im Japanischen gibt es fuer "ich" die Woerter "ore", "boku", "watashi", "watakushi", "atashi", "atakushi", die den relativen Stand des Sprechers sowie seine soziale Position und sein Geschlecht preisgeben. "Ore" und "boku" sind zum Beispiel dezidiert "maennlich", waehrend "atashi" und "ataskushi" weiblich (und "jung") sind. "watashi" und "watakushi" sind geschlechtsneutral und hoeflich. "Ore" ist "rauh", unhoeflich. Und "atashi", "watakushi" sind - weil Frauensprache - sehr hoeflich.
Schon allein an dem Fehlen einer "unhoeflichen" Frauensprachenform fuer "ich", bzw. einer "hoeflichen" Maennersprachenform fuer "ich", laesst sich erkennen, dass Frauen im modernen Japan einen niedrigeren Stand haben als Maenner. Ausserdem sieht man auch, dass der "Stand" des Sprechers im Verhaeltnis zu seinem Gegenueber in Japan sehr viel wichtiger ist als in Deutschland (Betrachtet wird die Gegenwart).
So einfach kann man nicht folgern, 1:1- Vergleiche von Wörtern führen zu nicht viel. Auch das Deutsche kennt Ebenen unterschiedlicher Höflichkeit, nur schlagen sich diese eben anders nieder (z.B. im Konjunktiv, generell irrealen Ausdrucksformen, weiterhin auch in nichtverbalen Geschichten).
Ich will hier übrigens nicht sagen, daß Deutsche und Japanische Höflichkeit das Gleiche wären und sich nur anders ausdrücken würden, ich will nur sagen, daß diese Direktvergleiche wenig zielführend sind.
(09.12.08 02:59)Lori schrieb: Aber um auf den ersten Beitrag zurueck zu kommen: Es gibt erst einmal keine allgemeine "Japanische Denkweise". Das, was du derzeit dafuer haelst, ist wahrscheinlich nur die - oeberflaechliche - Struktur der Grammatik und des Satzbaus. Aber diese konstituiert eben keine Denkweise, sondern sie ist nur eine andere Art etwas auszudruecken. Da diese Art und Weise fuer dich schwer zu verstehen ist, verwechselst du sie mit einer anderen Art zu denken.
Meine vollste Zustimmung, schönes Schlußwort!
(09.12.08 21:34)Hellwalker schrieb: Im Hintergrund zu Loris Beitrag ist auch die Sapir-Whorf-These ganz interessant.
Dazu sollte nur angemerkt werden, daß diese Hypothese nicht der aktuelle Stand ist. Der Zusammenhang zwischen Denken und Sprache ist zwar nicht geklärt und es gibt unterschiedliche Ansätze dazu. Klar ist jedoch, daß Sprache nicht das Denken einseitig determiniert, sondern daß da vermutlich komplexe Wechselwirkungen bestehen. Mit Vorsicht genießen!
So, ich hoffe, ich habe mir jetzt nicht direkt allzu viele Feinde gemacht
Grüße,
Herbert