Zitat:Und da sollte gar nichts an Äusserlichkeiten oder einer Etikette scheitern, sonst verurteile ich das ohne zu zögern als eine kranke Gesellschaft.
Damit hast du sicher Recht, aber auch mit solchen Verurteilungen sollten wir vorsichtig sein, denn die Gesellschaft weiß nicht, womit sie es zu tun hat. Aphasie sieht man dem Betroffenen nicht an. Er kann sich auch kein Schild umhängen mit der Aufschrift "Ich leide an Aphasie und für den Fall, daß Sie nicht wissen, was das ist: ...(es folgt der entsprechende Eintrag aus dem Brockhaus)..."
Wenn ich jemandem die Hand gebe und ignoriert werde, dann denke ich nicht sofort daran, daß er vielleicht an Aphasie leidet. Na ja, jetzt vielleicht schon, weil mein Gedächtnis die Angewohnheit hat, bestimmte Informationen zu speichern und genau im richtigen Moment wieder hervorzuholen.
Ich erinnere mich, daß hier einmal ein User wegen seiner miserablem Rechtschreibung angegriffen wurde. Ich weiß nicht mehr, wer die beiden waren, und das ist auch unwichtig. Jedenfalls handelte es sich bei diesem User um einen Legastheniker. Nachdem er das bekannt gemacht hatte, schimpfte niemand mehr über seine Rechtschreibung, statt dessen wurde er für seinen Mut bewundert, das hier öffentlich zu sagen. Die Gesellschaft behandelte ihn plötzlich ganz anders, obwohl sich eigentlich nichts geändert hatte. Und keinem von beiden kann man einen Vorwurf machen, denn wir können nur das berücksichtigen, was wir wissen.
Zitat:Ich bin aber auch diverse Male auf eine Rockgruppe mit dem gleichen Namen getroffen.
Dann schließ doch bestimmte Begriffe aus, die mit Sicherheit nur in einem Bericht über eine Rockgruppe vorkommen, aber nicht in einem Bericht über Aphasie.
Was die Behandlung von Aphasie angeht, gibt es meines Wissens nach die Möglichkeit, andere Teile des Gehirns darauf zu trainieren, die Tätigkeiten zu übernehmen, die der geschädigte Teil vorher innehatte. Das wird praktiziert, wenn Teile des Gehirns z.B. wegen eines Tumors entfernt werden müssen oder geschädigt sind, besonders wenn diese Teile elementare Tätigkeiten innehatten wie Bewegungen oder auch die Sprache. Das funktioniert natürlich nicht immer, aber man weiß ja nun, daß eine bestimmte Funktion nicht zwangsläufig von einem bestimmten Teil des Gehirns ausgeführt werden muß, und zwei Drittel unseres Gehirns liegen in der Regel ohnehin brach. Die Erschwernis ist natürlich, daß der Patient die Fähigkeiten völlig neu lernen muß, die man im allgemeinen mit ca. zwei bzw. sechs Jahren lernt, und die Lernfähigkeit nimmt ab dem sechsten Lebensjahr bekanntlich ab.
Zitat:es gibt einen Fachbegriff für "finden, was man nicht gesucht hat", kennt den jemand?).
Das ist die "agoraphobische Freiheit", die einem im Internet besonders oft begegnet: Man findet 20.000 Seiten, liest jede diese 20.000 Seiten, aber 19.999 davon umsonst, weil nur auf einer das steht, was man wirklich sucht, es aber auf jeder Seite hätte stehen können. Und hinterher hat man Augen, die eine ähnliche Form aufweisen wie der Monitor, den man stundenlang angestarrt hat.... Vom "Vergnügen, etwas zu finden was man nicht gesucht hat" kann da allerdings nicht mehr die Rede sein!
Die Tatsache, daß Kanji und Kana in unterschiedlichen Teilen des Gehirns verarbeitet werden, finde ich ziemlich interessant, zumal mir immer wieder auffällt, daß ich Kanji und Kana unterschiedlich betrachte, ohne mir dessen ständig bewußt zu sein. Kana ist Schrift und somit eine Einheit, Kanji sind Bilder, die nicht unbedingt eine Einheit bilden, sondern meist aus verschiedenen - im Idealfall logischen - Einheiten zusammengesetzt sind. Ich weiß, daß das nicht die japanische Lernmethode ist, aber auf diese Weise funktioniert es bei mir ziemlich gut, eigentlich besser als ich gedacht hatte. Schön, daß ich jetzt auch weiß, was Abend für Abend in meinem Gehirn vor sich geht.
Was den Umgang der Gesellschaft mit Aphasie angeht, wäre es schon ein gewaltiger Fortschritt, wenn sich jedes Mitglied dieser Gesellschaft erstmal Gedanken macht, wenn sich ein anderer Mensch seltsam, auffällig, unhöflich oder sonstwie "anders" verhält. Wenn wir von jemandem angerempelt werden, der einen langen weißen Stock, eine dunkle Sonnenbrille und eine gelbe Armbinde mit drei schwarzen Punkten trägt, dann schnauzen wir ihn ja auch nicht an: "Guck doch, wo du hin läufst." Wir sollten uns immer wieder klarmachen, daß es auch Behinderungen gibt, die man nicht auf den ersten Blick sehen kann, und das ist oft, aber nicht immer, von Vorteil für die Betroffenen.
chiisai hakuchoo, die manchmal von einem geradezu traumwandlerischen Optimismus bezüglich der Entwicklung unserer Gesellschaft heimgesucht wird