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Aphasie und japanische Schrift
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Denkbär


Beiträge: 677
Beitrag #1
Aphasie und japanische Schrift
Ich habe mich in letzter Zeit mit Aphasie beschäftigt. Das ist eine Sprachstörung, die meist durch eine Hirnschädigung nach Unfall oder Schlaganfall ausgelöst wird. Sie ist erworben, d. h. man beherrscht die Sprache und verliert sie erst durch die Hirnschädigung. Es besteht also kein Zusammenhang zwischen Spracherwerb bei Kindern und neuem Spracherwerb bei Hirnschädigung.
Bei einer Aphasie sind die Denkprozesse noch vorhanden, aber die Kommunikation ist ganz oder teilweise abgeschnitten. Ein Aphasiker kann sich also nicht mitteilen. In ganz schlimmen Fällen ist ihm das aber nicht bewusst. Leider wird jemand, der sich nicht verständlich machen kann, oft mit Denkstörungen in Verbindung gebracht, was beim Betroffenen schwere Depressionen auslösen kann.

So, was hat das jetzt mit Japan zu tun? Bei dieser Störung ist öfter (nicht immer) auch das Lesen betroffen und kann, wenn überhaupt, erst mit viel Mühe wieder erlangt werden. Und da stellt sich der Denkbär nun die Frage, wie das wohl in Japan funktioniert. Immerhin gibt es hier eine bunte Mischung aus zwei Silbenalphabeten, Kanji, lateinischen Buchstaben, arabischen Zahlen.

Ich habe noch nicht sehr viel gefunden, aber ein Ergebnis scheint zu sein, dass die Kanji zum Teil leichter wieder erworben werden als die Kana, da sie ja Ideogramme sind. Sie scheinen in einem anderen Teil des Gehirns gespeichert zu sein als die Kana, die als Silbenalphabete keine Bilder, sondern willkürlich gewählte Zeichen sind. Andererseits gibt es auch Patienten, denen gerade die Kana leichter fallen. Es scheint zumindest festzustehen, dass Kana und Kanji in unterschiedlichen Bereichen des Gehirns angewendet werden. Ich habe so einige Seiten durchforstet, aber witzigerweise habe ich auf einer Seite über Haiku etwas Kurzes und Verständliches über Aphasie und jap. Schrift gefunden:

Zitat: Where aphasia is concerned, two kinds of aphasia are known in Japan. One is for kana and the other is kanji. It has been found from studies of aphasia that Japanese read kana in one place of their brain and read kanji in another place where the brain recognizes kanji as a kind of graphic or cartoon. In other words, Japanese read kana in the part of the brain where European-Americans read alphabets, but they read kanji in the part of the brain where European-Americans see cartoons. Most Japanese haiku lovers examine the graphical effect of kanji for their haiku, as well as meanings of them.

Das steht auf dieser Seite:
http://www.worldhaikureview.org/1-2/whcj...omi1.shtml

Es gibt verschiedenen Formen der Aphasie: leichte Wortfindungsstörungen, exzessives, aber oft fehlerhaftes Reden, sehr mühevolles Reden und totaler Verlust aller kommunikativen Fähigkeiten. Bei jedem Betroffenem kann die Aphasie und eine damit einhergehende evtl. Störung von Schreiben (Agraphie) und Lesen (Alexie) anders aussehen.

Ich stelle mir das für eine Schriftsprache wie Japanisch außerordentlich schwer vor. Wer weiß, vielleicht hat da jemand im Forum mehr Kenntnisse? Ich wäre zumindest sehr interessiert und suche auch weiterhin selber Infos. Vielleicht ist das ja auch für einige andere von Interesse. Ich hoffe jedenfalls, nicht gelangweilt zu haben. rot
03.10.04 16:55
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zongoku
Inaktiv

Beiträge: 2.973
Beitrag #2
RE: Aphasie und japanische Schrift
Das ist interessant und auch schrecklich. Naemlich dass das jedem zustossen kann. All sein Wissen bei so einem Schlaganfall noch haben aber nicht mehr sich ausdruecken koennen.

Um weiteres Material zu diesem Fall zu bekommen schlage ich dir vor mal mit "Aphasie +japanese" zu googeln. Ergab 339 Traffer.
Womoeglich gibt es eine Behandlung dafuer.

"Aphasie +japanese +behandlung" ergibt 48 Treffer.
03.10.04 17:09
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Denkbär


Beiträge: 677
Beitrag #3
RE: Aphasie und japanische Schrift
Auch in Deutschland ist die Behandlung oft sehr mühsam. Als Faustregel gilt, dass die ersten 4 bis 8 Wochen nach dem Ereignis (z. B. Schlaganfall) sich spontan noch viel zurückbilden kann. Dann folgt eine etwa 2-jährige Phase, in der intensiv an den Beschwerden gearbeitet werden muss. Es heißt, dass nach diesen 2 Jahren nur in Einzelfällen noch etwas geändert werden kann. Meistens muss man mit der verbliebenen Schädigung dann leben.

In Deutschland gibt es jetzt seit einigen Jahren intensive Rehabilitationen, bei denen Logopäden, Krankengymnasten und Neurologen gemeinsam versuchen, die Behandlung zu optimieren. Es werden hier viele Erfolge erzielt. Allerdings kommt erschwerend hinzu, dass Aphasie kaum jemandem bekannt ist und Außenstehende einfach oft nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen. Außerdem muss jeder Patient individuell behandelt werden, weil bei fast jedem eine andere Störung vorliegt. Das ist alles sehr problematisch und auch für die Familien eine ungeheure Belastung.

Ich werd mich auf jeden Fall mal mit deinen Angaben auf die Suche machen, weil mich das ungemein interessiert. 'Behandlung' mit aufzunehmen, darauf bin ich gar nicht gekommen. Vielen Dank. Auf englischen Seiten ist übrigens sehr viel mehr Info zu erhalten, da habe ich mit 'aphasia' gesucht. (Ich bin aber auch diverse Male auf eine Rockgruppe mit dem gleichen Namen getroffen.)

Da ich mich ein bisschen mit deutschen Behandlungsmethoden auskenne, werde ich mal versuchen, über 'Behandlung' was über japanische herauszubekommen. Wenn was interessantes Neues auftaucht, werde ich es gleich mitteilen.
03.10.04 17:28
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gokiburi


Beiträge: 1.415
Beitrag #4
RE: Aphasie und japanische Schrift
Ja, als ehemaligen Psychologie-Nebenfächler würd mich das auch sehr interessieren! Also keine Angst vor Desinteresse, du postest das nicht zum Selbstzweck!

Viva la Niveau!

♪♪あぁ蝶になる、あぁ花になる、
恋した夜はあなたしだいなの、♪♪
あぁ今夜だけ、あぁ今夜だけ、
もうどうにもとまらない!!! ♪♪  山本リンダ
03.10.04 20:30
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Ma-kun
Thronregent

Beiträge: 2.021
Beitrag #5
RE: Aphasie und japanische Schrift
Ich habe mal, als ich für unser gemeinsames Projekt recherchiert habe eine Abhandlung über Alexie im Chinesischen gefunden (es gibt einen Fachbegriff für "finden, was man nicht gesucht hat", kennt den jemand?). Das Dokument ließe sich hier herunterladen.

Vielleicht enthält dies ein paar Informationen, mit denen Du etwas anfangen kannst.
03.10.04 21:56
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Denkbär


Beiträge: 677
Beitrag #6
RE: Aphasie und japanische Schrift
Vielen Dank, Ma-kun, das ist eine tolle Abhandlung. Ich werde gleich mal weiter wühlen.
Übrigens, meinst du Serendipity?

Zitat: Serendipity ist ein englisches Kunstwort, das der Briefeschreiber Horace Walpole (1754) erfunden hat. Es beschreibt die Kunst und das Vergnügen, etwas zu finden, das man nicht gesucht hat. Oder, wie es Julius H. Comroe, ein biomedizinischer Forscher ausdrückte:
Serendipity bedeutet nach der Nadel im Heuhaufen zu suchen und anstattdessen die Tochter des Bauern zu finden.

Aber eigentlich stimmt es ja nicht, denn schließlich hast du ja etwas gefunden, was ich gesucht habe. hoho (Ob es für sowas auch ein Wort gibt?)
Hier noch eine Erklärung:
http://www.polarluft.de/suche_im_web/fa/...e_s_z.html

Und vielen Dank, gokiburi, für die Ermutigung. Ich gestehe, dass ich den Selbstzweck doch etwas gefürchtet habe. Werde jetzt mit erhöhter Energie weiterforschen.

Da stößt man per Serendipity auch auf Sachen, die nicht so ganz damit zu tun haben, z. B. die Untersuchung, welche Fehler beim Schreiben von Kanji gemacht werden anhand von Japanern und Japanisch lernenden Australiern. Die Speicherprozesse laufen offenbar bei Muttersprachlern und Sprachlernenden völlig anders. Beim Aphasiker dagegen bestehen die Strukturen, sind aber nicht mehr zu benutzen, und die Herausforderung besteht darin, neue Netzverbindungen im Gehirn zu bilden, um die zerstörten Nervenbahnen zumindest teilweise zu umgehen oder zu ersetzen.
04.10.04 15:50
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shijin


Beiträge: 345
Beitrag #7
RE: Aphasie und japanische Schrift
Hallo Zusammen,
melde mich jetzt auch mal, da ich das Thema von Anfang an verfolge und auch sehr interessant finde.
Leider bin ich momentan bei Bekannten im Haus, da kann ich nicht lange googeln oder recherchieren. Habe daher auch noch nichts sinnvolles gefunden.
Werde aber gerne mal wenn ich wieder zu Hause meinem japanischen Kollegen der Medizin studiert eine Mail schreiben.
Ich freue mich natürlich auch über alle Infos die von Euch gepostet werden hoho
Liebe Grüsse, shijin
04.10.04 18:39
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Remoui


Beiträge: 61
Beitrag #8
RE: Aphasie und japanische Schrift
Ich habe schon vor ein paar Monaten im Internet eine Studie in Form einer Diplomarbeit entdeckt, die dieses Thema mehr als ausfuehrlich beleuchtet. Der Autor (die Autorin?) ist Kyoko Slany aus Oesterreich!

Das ist schon lange her, nach der Adresse muss ich also mal suchen... rot

四拾弐
04.10.04 18:49
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Remoui


Beiträge: 61
Beitrag #9
RE: Aphasie und japanische Schrift
Ich habe die Arbeit noch - dort wird Alexie untersucht, ein Begriff, den ich auch in dieser chinesischen Arbeit gefunden habe.
Die Arbeit heisst: "Neurolinguistisch-semiotische Betrachtung der Kana- und Kanji-Verarbeitung im Japanischen"

Die Adresse steht auch darin hoho
http://slany.org/kyoko/Diplomarbeit.pdf [1,5 MB]

四拾弐
04.10.04 19:05
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Denkbär


Beiträge: 677
Beitrag #10
RE: Aphasie und japanische Schrift
Da hab ich ja am Wochenende ordentlich was zu lesen. cool
Das sind ausgesprochen hilfreiche Links und ich werde sie dann gleich in Bezug auf meine Fragestellung durchforsten. Vielen Dank.

Es sind ja im Moment hauptsächlich Alexie und Agraphie, die mich interessieren, vielleicht, weil ich selber als Japanisch-lernender am Erwerb der jap. Zeichen interessiert bin. Aber auch die Sprachstörung an sich finde ich äußerst interessant. So ist es z. B. so, dass in der verlorenen Sprache zuerst die Nomen wieder erworben werden. Das Bilden von Verben ist sehr viel schwieriger und die sogenannten 'Funktionswörter' scheinen oft unüberwindbare Hürden zu bilden. Nun sind ja im Japanischen z. B. die Partikel im Vergleich sehr viel bedeutsamer als in der deutschen Sprache. Meine Vermutung ist also, dass der Wiedererwerb der Funktionswörter im Jap. schwerer ist als im Deutschen. Das Erschreckende an der Aphasie ist dabei, dass dem Betroffenen durchaus bewusst ist (bzw. sein kann), was er meint, er es aber nicht ausdrücken kann. Auch das Zeigen an Bildkarten ist oft nicht möglich, wenn in schweren Fällen Symbole nicht oder nur noch teilweise erkannt werden. Die ungeheure Frustration, die daraus resultieren muss, kann man sich bestimmt nur als Betroffener wirklich vorstellen. In dem sehr empfehlenswerten Buch 'Das Schweigen verstehen' von Luise Lutz wird der Fall einer gläubigen Katholikin geschildert, die nicht mehr fähig war, das Kreuzzeichen durchzuführen. Was für Auswirkungen haben solche schweren Fälle in einer Gesellschaft, die starken Wert auf äußere Höflichkeitsregeln legt?
05.10.04 15:18
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Aphasie und japanische Schrift
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