Bevor der Frühling schon wieder vorbei ist, möchte hier mal wieder ein Frühlings-Gedicht einstellen.
Es ist diesmal von
小野小町 (Ono no Komachi, um 850) und wurde 905 in die erste, auf kaiserlichen Befehl zusammengestellten Waka-Sammlung
今古和歌集 (Kokin-waka-shû), und im 13 Jahrhundert schließlich von 藤原定家 (Fujiwara no Sadaie genannt: Fujiwara no Teika) in die berühmte Gedichtsammlung
百人一首 (Hundert Gedichte von hundert Dichtern) aufgenommen.
Bild: 小野小町
はなのいろは うつりにけりな いたづらに
わがみよにふる ながめせしまに
hana no iro ha/ utsurinikeri na/ itazura ni
waga mi yo ni furu/ nagame seshi ma ni
zu besseren Lesbarkeit dann auch noch mal mit Kanji versehen:
花の色は 移りにけりな いたづらに
我が身世にふる ながめせしまに
Interessant ist, das hier gleich 2
掛け詞 (Kakekotoba) [dh. Worte mit Doppelbedeutungen, die nach vorn und nach hinten gelesen in einen unterschiedlichen Sinnzusammenhang gestellt werden können] aufeinanderfolgen:
Das erste "Türangelwort" ist
ふる :
1. Bedeutung = (Jahre und Tage) verbringen
und
2. Bedeutung = fallen (Regen)
Das zweite "Türangelwort" ist
ながめ :
1. Blick in die Ferne
und
2. lang anhaltender Regen
Damit ergeben sich durch die zwei 掛け詞 3 verschiedene Sinnzusammenhänge:
- よに
ふる = sein Leben verbringen
-
ふるながめ = lang anhaltend fallender Regen
-
ながめせしまに = während ich meinen Blick richte
Die Farbe der Blüten hat sich längst gewandelt,
derweil ich gedankenverloren
in den lang anhaltenden Regen blickend,
nutzlos mein Leben verbringe.
Mit den Blüten dürften Kirschblüten gemeint sein, die nun schon, durch den lang anhaltenden Regen abgefallen und verblasst sind.
Während die Dichterin in diesen endlosen Regen blickt, verliert sie sich in Gedanken darüber, das sie ihre Zeit doch ganz nutzlos auf dieser Welt verbringt.
edit: vergessenes "waga" eingefügt;