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Tsunami in Japan.
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Nora
Gründerin

Beiträge: 2.095
Beitrag #181
RE: Tsunami in Japan.
Ich bin mir auch nicht so sicher, ob das uns oder irgendjemanden weiterbringt - in Japan kommen diese Ratschläge bestimmt nicht an, zongoku, zumal die Lage von den meisten vermutlich anders eingeschätzt wird als von Dir.

Da sich sicherlich einige von Euch mit dem Thema intensiv beschäftigen, möchte ich vorschlagen, daß wir diesen Thread zu einem Informationsthread darüber, was ist umwandeln, anstatt zu spekulieren, was kommen könnte.
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 03.04.11 07:41 von Nora.)
03.04.11 07:37
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atomu


Beiträge: 2.677
Beitrag #182
RE: Tsunami in Japan.
Freunde von uns, die schon lange in Japan gelebt haben und fließend Japanisch sprechen können, sind nach ein paar Monaten in Deutschland vor ein paar Tagen in ihr Haus nach Kyoto zurückgekehrt. Der Auszug aus einer Mail von Montag gibt einen guten Eindruck von der Stimmung zurzeit in Westjapan und zeigt sehr deutlich die Problematik der Berichterstattung in den deutschen Medien auf (mit freundlicher Genehmigung der Verfasserin):

> Ich wollte zeigen, dass es jenseits der Ereignisse in Nordostjapan
> hier in Westjapan ein Alltagsleben gibt.
>
> Das Alltagsleben gestaltet sich allerdings nicht ganz wie immer. An
> den Unis werden kostenlos Arbeitsplätze und Übernachtungsmöglichkeiten
> für Studenten aus den vom Erdbeben betroffenen Gebieten angeboten.
> Überall wird Geld gesammelt: jedes Fest, jedes Konzert, jeder Betrieb
> sammelt! Das Wechselgeld im Supermarkt wandert in die Sammelbox.
>
> Besonders betroffen sind viele Kleinbetriebe z.B. auch hier in Kyoto.
> Heute sprach ich mit dem Besitzer einer Druckerei ein paar Häuser
> weiter: seit dem Erdbeben stehen die Maschinen still, weil der
> Papierlieferant dort im Nordosten Japans ansässig ist und die
> Herstellung stockt. Bis Ersatzpapier aus China oder Korea kommt, wird
> es Wochen dauern - und ob seine Maschinen das andersartige Papier
> verarbeiten können - das bleibt abzuwarten. Dabei müssten dringend
> neue Schulbücher für den Nordosten Japans gedruckt werden...
>
> Die Nachbarin auf der anderen Seite erzählte, dass ja im Nordosten
> Japans ein wichtiges Reisanbaugebiet ist und dass es im Herbst zu
> Engpässen kommen kann. Sie meinte "Ich hoffe, dass ich wenigstens Reis
> für meine betagte Mutter kriege, ich selbst kann auch Brot oder was
> anderes essen". In der Tat wird uns die Nahrungsmittelfrage noch
> länger begleiten - aber weniger wegen Strahlenbelastung als vielmehr
> wegen der entstehenden Versorgungsengpässe.
>
> In Nord-Ost Japan ist auf einer Länge von 400 km eine unvorstellbare
> Katastrophe passiert, und es wird noch Monate dauern, bis sich wieder
> ein kleines Stück Normalität einstellt. Die Gegend im unmittelbaren
> Umfeld des AKW Fukushima muss wegen der Strahlenbelastung aufgegeben
> werden. Die ersten Bewohner der Notunterkünfte sind bereits in andere
> Orte weiter entfernt verlegt worden. Im japanischen Fernsehen sieht
> man die Menschen viel weinen oder den Tränen nahe. Schließlich sind es
> Menschen mit Emotionen, und ich fühle mich sehr schlecht, dass ich
> einen solchen Satz überhaupt schreiben muss. Vor ausländischen
> Kamerateams bleiben die Leute gefasst - dabei würden diese doch sooo
> gerne Verzweiflung sehen!
>
> Halbwahrheiten, glatte Lügen, immer das Negative herausgestellt und
> fast hat man den Eindruck, Japan würde bewusst stigmatisiert: die
> Presse in Deutschland berichtet z.T. sehr fragwürdig. Ich muss mich aber
> hüten, diese Panik berichtigen zu wollen. Sonst komme ich selbst in
> die Ecke von Kamikaze und Samurai und dass ich nur aus Liebe zu Japan
> bereit bin, mich selbst zu opfern. So ein Blödsinn!
>
> Aber niemand will wirklich hören, dass wir hier in Kyoto sicher sind.
> Wir sind schließlich in Japan, oder? Die Strahlenbelastung bleibt zwar
> 800 km weit weg von uns, auch hat "die Strahlungswolke"
> eine andere Beschaffenheit als nach Tschernobyl - aber wer will das
> schon auseinander halten. Bisher gab es weder hier erhöhte Werte, noch
> in den anderen Landesteilen und immerhin hat Greenpeace bestätigt,
> dass die offiziellen Messwerte stimmten.
> Und dann die Berichterstattung: jetzt zieht "die Wolke" ins
> Landesinnere (da haben wirs, schwarz auf weiß). Tut sie aber nicht.
> Details, die dem Ganzen die Dramatik entziehen, will ja keiner hören
> bzw. werden (bewusst?) nicht vermittelt.
>
> Auch dass in Japan die natürliche Strahlung ohnehin nur ein Drittel
> ist von der in Deutschland, und dass die Grenzwerte für
> Strahlenbelastung in Japan viel strenger sind als bei uns - nur
> deshalb lag die Belastung beim Trinkwasser für Babys kurzzeitig in
> Teilen Tokios darüber - interessiert das jemanden?
>
> Also: Uns geht es hier gut, wir sind in gespannter Wachsamkeit wegen
> der Ereignisse, aber nicht in großer Sorge um unsere Gesundheit. Das
> ist vielen Menschen in Deutschland nicht zu vermitteln. Sie glauben,
> wir verharmlosen - schade.
>
> Es macht uns aber Mut, wenn jemand von Euch die Stärken Japans sehen
> kann. Natürlich ist dieses Desaster furchtbar, hoffentlich lernt der
> Rest der Welt daraus, und Japan wird auch eine bittere Lektion lernen
> und lernen müssen! Es hat sozusagen eine Stellvertreterrolle
> übernommen, von der andere Länder eigentlich nur profitieren können.
> Dieses Land hat Kraft und Lebensmut. Alle Betroffenen wissen, dass das
> Land solidarisch hinter ihnen steht, und wenn auch die Welt Mitleid
> hat und hilft, umso besser.

正義の味方
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 08.04.11 13:20 von atomu.)
08.04.11 13:19
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sushizu


Beiträge: 367
Beitrag #183
RE: Tsunami in Japan.
Danke fuer diesen Beitrag.
08.04.11 15:39
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Ma-kun
Thronregent

Beiträge: 2.021
Beitrag #184
RE: Tsunami in Japan.
Vielen Dank, atomu!
08.04.11 15:45
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nomin


Beiträge: 134
Beitrag #185
RE: Tsunami in Japan.
Auch von mir ein Danke!
Darf ich diesen Text weiterleiten?
09.04.11 06:27
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atomu


Beiträge: 2.677
Beitrag #186
RE: Tsunami in Japan.
(09.04.11 06:27)nomin schrieb:  Auch von mir ein Danke!
Darf ich diesen Text weiterleiten?

Gern. Wenn du mir aber vielleicht hier oder per PN schreiben würdest, wohin du das leitest, würde ich mich freuen.



Auch lesenswert:

http://www.spiegel.de/spiegel/a-754931.html

http://www.welt.de//kultur/article129854...aemen.html

Ich will wirklich nichts verharmlosen. Aber der Panikmache (nicht zuletzt hier in diesem Thread) muss auch mal was entgegen gesetzt werden. Alle International Schools im Großraum Tokio haben inzwischen wieder geöffnet, die amerikanische, die französische, die englische ... nur die deutsche in Yokohama nicht. Was sagt uns das? Die deutsche Botschaft wurde nach Osaka verlegt. Wie muss das auf unsere japanischen Freunde wirken?

Die Familie meiner Frau lebt in Tokio und andere Verwandte auch. Sorgen um die Zukunft sind berechtigt und die kennen wir gut. Aber Angstmache hilft keinem weiter. Ich kenne einen jungen Japaner, der sich angesichts der Not in den Krisengebieten einer Hilfsorganisation angeschlossen hat, um freiwillig dorthin zu gehen und zu helfen. Er ist jetzt genau dort, wo es mit am schlimmsten war. So wie er machen es nicht wenige aus allen Teilen des Landes. Sollen sie alle wegen der Strahlengefahr zu Hause bleiben?

正義の味方
09.04.11 11:17
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Shino
Ex-Moderator

Beiträge: 2.329
Beitrag #187
RE: Tsunami in Japan.
Auch wenn Sorgen natürlich berechtigt sind, ist es auch die Stimmung, die ich so von meinen Kontakten mitbekomme.

Ein kurzer Artikel im Deutschlandfunk:

"In Deutschland haben sie Strahlenallergie"

Anstatt irgendwelche Hiobsbotschaften zu verteilen, sollte man sich Gedanken darüber machen, wie man Japan (und andere von Katastrophen betroffene Nationen) unterstützen kann.

人生に迷うときもあるけど笑っていれば大丈夫
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 09.04.11 11:43 von Shino.)
09.04.11 11:41
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BonsaiNooB


Beiträge: 9
Beitrag #188
RE: Tsunami in Japan.
Hat jemand hier im Forum nähere Infos wie es in Kashima-City aussieht. Ich wäre dankbar für Infos...

LG
BonsaiNooB
09.04.11 21:00
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atomu


Beiträge: 2.677
Beitrag #189
RE: Tsunami in Japan.
Kurzer Facebook-Dialog, den ich gestern mit einer Deutsch lernenden Freundin aus Japan hatte, anlässlich der Kirschblütenfotos, die sie gerade hochgeladen hatte:

Ich: "Wunderschön. Ist das alles in Nagoya?"
Sie: "Danke! Ja, in Nagoya. Der Platz wimmeln von Menschen. Alles Menschen laecheln. : ) "

grins

正義の味方
10.04.11 09:05
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(@;@)
Gast

 
Beitrag #190
RE: Tsunami in Japan.
(08.04.11 13:19)atomu schrieb:  > Es macht uns aber Mut, wenn jemand von Euch die Stärken Japans sehen
> kann. Natürlich ist dieses Desaster furchtbar, hoffentlich lernt der
> Rest der Welt daraus, und Japan wird auch eine bittere Lektion lernen
> und lernen müssen! Es hat sozusagen eine Stellvertreterrolle
> übernommen, von der andere Länder eigentlich nur profitieren können.
> Dieses Land hat Kraft und Lebensmut. Alle Betroffenen wissen, dass das
> Land solidarisch hinter ihnen steht, und wenn auch die Welt Mitleid
> hat und hilft, umso besser.

Ich bin ja auch gerne für Medienschelte zu haben, aber das ist genau die Art von Nationalismus, gegen die sich bspw. Mishima Kenichi verwahrt hat.

http://www.fr-online.de/kultur/debatte/-...index.html

Abgesehen davon, dass nicht Länder sondern nur Menschen Kraft und Lebensmut haben, muss sich erst noch herausstellen, wie solidarisch man mit den Betroffenen umgeht. Was übrigens "alle Betroffenen wissen": Bei den vielen vorherigen Naturkatastrophen hielt sich "das Land" mit seiner Solidarität doch eher zurück, nach der Erstversorgung wie der Unterbringung in Ausweichwohnungen, gab es meistens eine Einmalzahlung, die zu großen Teilen aus Spendengeldern finanziert wurde und sich allein am erlittenen Sachschaden orientierte, ohne ihn dabei freilich ganz abzudecken. Bei der mittel- und langfristigen Bewältigung, z.B. der seelischen Schäden, sind die Betroffenen dann wieder ganz in Eigenverantwortung auf sich allein gestellt. Bei erlittenen Schäden durch Konzerne weht den Geschädigten sogar ein scharfer Gegenwind ins Gesicht, oft werden dabei Täter- und Opferrollen vertauscht und Vorwürfe wie Geschäftsschädigung oder "linke Spinner" usw. ins Spiel gebracht. Man darf gespannt sein, ob z.B. eine Sammelklage gegen Tokyo Denryoku zugelassen wird, oder ob die sich mit Entschädigungszahlungen außergerichtlich aus der Affaire mogeln können. Die ersten Zahlungsangebote seitens Tepco an betroffene Gemeinden waren ja schon einmal unverschämt gering, das massive Polizeiaufgebot, das die hunderten (!) Demoteilnehmer gegen Tepco begleitet, lässt auch schon erahnen, wie der Hase langlaufen wird. Aufschluss darüber, ob sich mittelfristig was ändern wird, können auch die demnächst stattfindenden Wahlen in Tokyo geben, sollte wieder Ishihara gewinnen, dann Gute Nacht und träum schön weiter, Japan!
Ich denke, es ist mehr im Sinne auch der konkret Geschädigten, wenn man selbst angesichts einer zweifellos idiotischen Berichterstattung in dt. Medien seinen kritischen Blick auf das Land nicht verliert, und nicht versucht, negativen Orientalismus mit positiven zu kontern!

P.S. Es kam übrigens zu serienweise zu Diebstählen der Sammelboxen, Bankraub in überfluteten Städten und auch in Japan schubst man angesichts einer heranrollenden Flutwelle alte Leute zur Seite, um in höhere Stockwerke zu kommen.
10.04.11 10:41
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Tsunami in Japan.
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