Liebe Yamaneko, Dorrit und alle anderen, (sorry, ein paar Edits hier und da)
sorry, da sind vorhin bestimmt die Pferde mit mir durchgegangen, oder wie das heißt. Ich glaube, ich habe etwas überreagiert und wollte niemanden verärgern und auch niemandem das Lernen hier kaputt machen.
Ich versuche mich ein wenig zu erklären. Ich glaube, kanji und kana von Hadamitzky ist für mich einer der Inbegriffe für das, was falsch läuft an der Universität und im Japanischunterricht in Deutschland. Ich habe damals Japanisch an der Universität studiert, deshalb habe ich das wahrscheinlich immer mit im Kopf und alle Ärgernisse, die damit verbunden sind.
Viele Japanischlehrer - die in Deutschland oft Japaner sind - wissen leider nicht, welche Teile sie unterrichten müssen und welche nicht. Sie können in der Regel nicht erklären, was nun entscheidend ist, wenn man Japanisch lernt, welche Teile man im Unterricht lernen kann und welche nicht, was man da eigentlich lernt, wenn man lernt, welche Literatur relevant ist für deutsche Lerner usw.
Für mich ist das Hadamitzky-Buch Ausdruck dieser Sache: Unwissen über den Lehr- und Lern-Gegenstand. Ich habe damals auch alle On- und Kun-Lesungen gelernt, kann das auch alles heute noch. Mir fällt dabei auch die ein oder andere Lesung ein, die ich kenne, aber für die mir partout kein Beispiel einfallen möchte, weil ich das in 8 Jahren in Japan noch nie jemanden habe sagen hören, wie tôtoi (尊い).
Das ist ein Ärgernis. Man lernt an den Realitäten der Sprache vorbei, eine Vokabel von vielen, die eher äußerst selten gebraucht wird. Gepaart war das bei uns mit der Tatsache, dass die meisten Studenten nach 2 Jahren Sprachunterricht fast nichts sagen konnten, keine Bedeutung kommunizieren konnten, aber 1500 Schriftzeichen mit sich herumtrugen.
Kanji und kana gehörte bei uns zum Standard, so auch das große kanji-Wörterbuch von Langenscheidt (der dicke 100-Euro-Wälzer). Ich habe keines dieser Bücher nach dem Grundstudium je wieder angerührt. Ich habe sie auch noch nie gebraucht, um einen normalen Zeitungstext oder Literatur zu lesen. Beide Bücher sind dafür einfach nicht geeignet und in der heutigen Zeit ohnehin zu schwerfällig. Dem großen kanji-Lexikon von Langenscheidt möchte ich seine Daseinsberechtigung nicht absprechen, wenn man es mal mit etwas sehr Altem oder Kompliziertem zu tun hat. Schließlich muss man ja sein たいと irgendwo finden.
(
https://ja.wikipedia.org/wiki/%E3%81%9F%...4%E3%81%A8 )
Aber aus meiner Sicht sind die Bücher ein Riesenumweg. Ich erinnere mich an die ersten Stunden Literaturübersetzung und wie lange es gedauert hat, einen Text sinnvoll ins Deutsche zu übersetzen. Wenn man aber solche Texte irgendwann flüssig und normal lesen will, muss man eben immer wieder solche Texte lesen. Dabei hat mir mein hart erarbeitetes kanji-Wissen nur sehr wenig geholfen. Was mir gefehlt hat, war Vokabular, Grammatikwissen, Satzstrukturen, Leseverständnis. Diese Weisheit wollte einfach niemand aussprechen, ich vermute, weil die Sprachlehrer oft gar nicht das Verständnis hatten, woran es denn nun hapert.
Deshalb auch mein - und hier möchte ich dich, liebe Yamaneko, um Entschuldigung bitten - etwas unfaires Aufgreifen von einem der Sätze aus dem Iod-Thread. Die Frage, ob man "yurusareru" in solch einem Fall sagen kann oder nicht, bringt in meinen Augen das Problem auf den Punkt. Man kann all diese Schriftzeichen mit seinen verdammten Lesungen, aber was dabei untergeht, ist tatsächliches Sprach-, Vokabel- und Grammatikwissen. Kanji und das Lesenlernen stehen im Japanischunterricht oft so weit im Vordergrund, dass anderes Grundwissen schlicht untergeht oder in den Hintergrund gedrängt wird. Es ist geradezu bezeichnend, dass Langenscheidt zwei kanji-Wörterbücher auf dem Markt hat, und dann nur ein winziges Japanisch-Taschenlexikon. Für mich ist das Ausdruck davon, dass man gar nicht weiß, wie die Sprache eigentlich funktioniert. (in den 1990ern war das so, falls es sich geändert hat, bitte sagen; Edit hier: Das war damals so, stimmt nun aber wohl nicht mehr, es gibt jetzt doch ein "Universal-Lexikon", allerdings auch erst seit 2020)
Schließlich gehört hierzu auch der kanji-Unterricht an der Universität. Japanischlehrer wissen oftmals nicht, das kanji eine Bringschuld der Lerner sind. Die Lehrer können ihnen das nicht beibringen. Mehrere Einführungen, wie das System funktioniert, sind sinnvoll. Aber ansonsten sind kanji leider Fleißarbeit für zu Haus (wer nicht Japanologie studiert, bitte nicht falsch verstehen, ich meine hier insbesondere Japanologiestudenten). Als Lehrer muss man das Wissen. Jede weitere Minute auf kanji-Schreiben im Unterricht ist deshalb vergeudete Zeit.
Liebe Dorrit, mit Scheinetymologie meinte ich tatsächlich Eselsbrücken und dergleichen. Also so was wie "Bei mir zu Hause haben wir auch Schweine unterm Dach", um sich 家 zu merken (ist ein Beispiel, bitte so ähnlich denken). Über einen richtigen Etymologiekurs hätte ich mich tatsächlich gefreut. Die Lernzeit an der Uni aber mit kanji-Lernen zu vergeuden - das können die Studenten zu Hause - ist ein immenses Ärgernis. Dabei geht Zeit verloren, die die Studenten brauchen für richtige Lektüre- und Diskussionskurse auf einem Niveau, das sie nur an der Uni bekommen können. Zeit und Geld sind begrenzt, sie für kanji-Listen zu vergeuden ist sehr schade. Deshalb ärgert es mich immens, wenn meine alte Uni tatsächlich 2 Stunden die Woche darauf verschwendet, jemandem zu erklären, aus welchen Teilen das kanji für 豚 oder 制 oder was auch immer zusammengebaut ist. (das ist in den meisten Fällen keine Etymologie der kanji)
(Edit ab hier: ) Hinter solchen Kursen steckt noch ein anderes Problem, nämlich die Einfallslosigkeit so mancher Japanisch-Lehrkraft. Die Zeit im Unterricht auf kanji-Lernen zu vergeuden ist wieder einfach. Man bringt die Liste mit, erzählt zu jedem kanji etwas, schon sind zwei Stunden rum. Einen sinnvollen Kurs aufzubauen, der einem sprachlich etwas bringt - so etwas kostet sehr viel mehr Zeit. Oft fehlt es aber am Verständnis dafür, was die Studierenden nun eigentlich brauchen, um weiterzukommen, und deshalb kann man keine guten Kurse aufbauen.
Na ja, das war jetzt ganz schön lang, ich bitte um Entschuldigung. Ich hoffe, man kann damit ein wenig besser verstehen, weshalb ich das Buch eher verteufele, all diese Dinge stecken für mich implizit im Hadamitzky.
Meine Meinung dazu ist auch nur eine Meinung unter vielen
Also bitte nicht zu ernst nehmen
LG
olo