Ich möchte einmal etwas zu der beschriebenen Lernmethode und zum Thema beitragen, die sogenannte Methode Mertner, die hier beschrieben wurde. Kurz zur Info über mich: Ich habe selbst Japanisch studiert, habe mit Unterbrechung über acht Jahre in Japan gelebt, ich hatte viel Kontakt zu Japanern genau wie zu Expats, also Ausländern, die in Japan leben.
Natürlich ist es wichtig, der Sprache möglichst viel ausgesetzt zu sein und Kontakt zu Sprechern der Muttersprache zu haben. Es ist auch klar, dass man dabei Brocken aufschnappt, ganze Teile lernt, je näher die beiden Sprachen einander sind, desto schneller geht dies vermutlich. Heute ist das so einfach wie nie zuvor dank Internet, zahlreichen YouTube-Videos, Nachrichtenportalen auf Japanisch usw.
Aber niemand sollte sich hier etwas vormachen: Eine Sprache systematisch zu lernen, mit Lehrbuch und Vokabelliste und Grammatik, geht IMMER SCHNELLER als ohne. Kinder erwerben ihre Muttersprache, ohne dass sie sich durch den Lernstoff pauken müssen, indem sie von den Erwachsenen Dinge aufschnappen, sich korrigieren, korrigiert werden, fernsehen, in die Schule gehen, mit anderen Kindern sprechen, sozialisiert werden sozusagen. Dieser Prozess dauert allerdings auch ganz schön lange. Wer ihn abkürzen will (oder muss, weil er 30 ist, und sein Umfeld dafür keine Verantwortung mehr übernimmt), greift zum Lehrbuch. Deshalb werden Sie in der Regel in der Schule auch nicht einfach einen Muttersprachler vorgesetzt bekommen, der Englisch spricht, sondern einen Anglisten, der auf Lehramt studiert hat, aber Deutscher ist. (Das Problem, dass vor allem Japaner Japanisch unterrichten, ist noch mal ein anderes)
Die Methode Mertner ist alt, gut 100 Jahre, in der Fremdsprachendidaktik hat sich längst so einiges getan. Ich drücke es aber lieber anders aus: Der Fremdsprache ausgesetzt zu sein, das allein reicht einfach nicht. Ich habe in Japan sehr viele Expats getroffen, Menschen, die aus irgendwelchen Gründen für einen begrenzten Zeitraum im Land leben. Viele kamen trotz ihres japanischen Umfelds gut mit Englisch allein zurecht, konnten nur ein paar Brocken, die sie aufgeschnappt hatten, insbesondere viele englischsprachige Ausländer (nicht alle, ich habe auch viele exzellent sprechende Amerikaner getroffen
waren sehr schlecht im Japanischen, vor allem diejenigen, die mit der oft gelobten kommunikativen Methode unterwegs waren. Sehr viel und sehr viel besser kommunizieren konnten diejenigen, die eine solide Basis mitbrachten und brav ihre Vokabeln und Grammatik gepaukt hatten. Sie machen schneller Fortschritte, können sich Neues durch Lesen erschließen, können genauer Dinge ausdrücken. Es ist leider so, wie es ist: Ohne Arbeit und Fleiß geht es nun mal nicht. Wer im TED-Talk davon redet, innerhalb von sechs Monaten jede Sprache zu lernen, kann wahrscheinlich keine so richtig gut.
Eine ganz andere Sicht auf die Dinge und zur Frage zurück: Ja, man kann Japanisch ohne kanji und kana sprechen lernen. Denn Kanji und kana sind erst mal nur eine Möglichkeit, das Lautbild des Japanischen schriftlich festzuhalten. Dies geht auch mit einer Romanisierung in lateinischer Schrift (also sogenannte Romaji). Überhaupt möchte ich allen Menschen, die Japanisch lernen, den Ratschlag geben, dass sie Wörter als Vokabeln mit Kontext und Grammatik begreifen und kanji allenfalls nebenbei mitlernen. Der Lerneffekt ist dann viel größer. Grammatik muss man aber trotzdem lernen, sonst kann man die Wörter nicht zu Sinneinheiten zusammenfügen. Das ist in allen Sprachen so. Wer meint, es ginge ohne Grammatik und Vokabeln, versteht nicht, wie viele abgespeicherte Regeln er parat hat, wenn er einen deutschen Satz produziert. Ein Beispiel dazu:
Die Schlösser in der Schweiz gefallen mir.
Das Verb "gefallen" setzt voraus: Einen Dativ (wem gefällt es = mir); einen Nominativ (was gefällt? – A gefällt mir); der Nominativ ist aber im Plural und muss richtig gebildet werden: das Schloss, die Schlösser, nicht etwa Schlosses, Schlossen; der Nominativ im Plural beeinflusst das Verb: Das Schloss gefällt, Die Schlösser gefallen; dazu kommt noch eine Ergänzung, die Schlösser IN der Schweiz, Anbindung über "in" mit Dativ plus Artikel, weil feminines Substantiv ("in Deutschland" aber ohne, weil Neutrum; im Iran wieder mit, weil Maskulinum)
Sie sagen jetzt als Deutscher: Wer macht das denn falsch? Aber meine Studenten sind die, die Sätze wie die folgenden gebildet haben: Ich gefalle die Schloss. Die Schlösser gefällt mich.
"Sie diese deutsch Satz natürlich verstehe auch, wenn ich nicht könne richtig sprech." Aber wenn sich solche Sätze dann häufen und ich nicht alle Vokabeln parat habe, dann wird es nach längerer Zeit enorm schwierig, Ihnen zuzuhören und Sie zu verstehen. Wenn Sie nur ein bisschen sprechen können wollen, ist es aber natürlich okay, auf kanji und kana zu verzichten. Je weiter Sie aber lernen wollen und je mehr Sie vorhaben, sich in Japan aufzuhalten, desto schwieriger wird es ohne kanji und kana werden. Sie gehören nun einmal zur Sprache dazu. Sehr viele kanji klingen oder lauten gleich. Einen großen Vokabelschatz zu verinnerlichen und durch Leseverständnis Bedeutungen im Kontext erschließen zu können wird mit steigendem Schwierigkeitsgrad entscheidend.
Ich hoffe, ich konnte meine Meinung einigermaßen klar formulieren. Mit besten Grüßen an alle.