Das sehe ich genauso wie sora-no-iro. Dein "westliches" Auge muss sich erst an dieses Strich-Wirrwarr gewöhnen, dazu musst du am Anfang nicht unbedingt jedes Zeichen mit allen seinen Lesungen und Bedeutungen auswendig lernen. Es reicht, die aus Kanji zusammengesetzten Wörter bewusst anzuschauen, sie auseinanderhalten und deren Lesung sowie Bedeutung zu lernen. Im Übrigen sind Kanji ja nur Mittel zum Zweck: Die
Wörter bzw. deren Bedeutungen sind wichtig, um einen Text zu verstehen. Die Zeichen 上 und 下 z. B. wirst du oft alleinstehend finden können, während dies bei den Zeichen 英 und 語 eher selten - wenn überhaupt - der Fall ist. Daher mag es für den Anfang einfacher und sinnvoller sein, die Zeichen 上 und 下 für sich allein und 英語 besser im (jeweiligen) Zusammenhang zu lernen. (Übrigens gibt es auch Komposita, deren einzelne Bedeutungen nichts mit jener zu tun haben, die die Kanji zusammen haben. Da wird es dir wenig helfen, die Bedeutungen der einzelnen Kanji zu wissen.)
Der "Trick" dabei ist, dass du durch die Beschäftigung mit den explizit als zu lernend herausgestellten Kanji langsam aber sicher Erfahrung darin bekommst, die einzelnen Bestandteile und deren Anordnung zu unterscheiden, so dass es dir mit der Zeit immer leichter fällt, neue Kanji von anderen zu unterscheiden - was dir letztendlich auch dabei helfen wird, sie dir zu merken.
Daher ist es auch meiner Meinung nach nicht nötig, am Anfang wirklich
jedes Zeichen nachzuschlagen und deren On- wie Kun-Lesungen zu pauken - zumal es derer teilweise so viele gibt, dass du schnell überfordert sein könntest.
Welche der vielen Lesungen soll ich lernen? Welches ist die wichtigste, die Haupt-Lesung? Was bedeuten sie im Einzelnen? Das sind Fragen, die dir dann bestimmt durch den Kopf gehen könnten (bei mir war das so, s. u.). Du kannst ja mal so "einfache" Zeichen wie 下 oder 上 im
Online-Kanji-Lexikon von Bibiko nachschlagen und du wirst schnell verstehen, was ich meine.
Die Antwort auf die vorigen Fragen ist, wie ich finde, ganz einfach: Du musst am Anfang nicht sämtliche Lesungen eines Kanji lernen, es reichen die, die dir helfen, den jeweiligen Text (bzw. deren Kanji-Wörter) zu verstehen. Indem du ein Wort wie 英語 lernst, hast du ja schon zwei mögliche und wichtige Lesungen für die jeweiligen Kanji gelernt. Wenn du willst, schau nach, zu welchen Lesungen (On- oder Kun-) エイ bzw. ゴ gehören (mit der Zeit erkennst du das zunehmend automatisch) und welche Bedeutung sie haben, das könnte tatsächlich hilfreich sein. Die restlichen Lesungen und Bedeutungen kannst du auch nach und nach hinzufügen, sobald sie in deinen Lern-Texten (oder anderen) auftauchen. Das ist meiner Meinung nach der entspanntere Weg.
Es ist eine auch im Forum oft und teilweise heiß diskutierte Frage, ob man Kanji eher einzeln mit ihren Lesungen (hier ist wohl die
Heisig-Methode das eine Extrem) oder im Zusammenhang als Bestandteil eines Wortes bzw. Satzes lernen sollte und jeder findet nach einiger Zeit seine eigene Art der Herangehensweise. Aber ich behaupte mal, dass die meisten "alten Hasen" eher dazu raten würden, die Kanji und Bedeutungen in einem sinnvollen Zusammenhang (Wort/Vokabel, Satzgefüge, Text) zu lernen.
Wieviel Energie du da hineinsteckst bleibt letztendlich dir selbst überlassen. Wenn es dir Spaß macht und es dir leicht fällt, dann folge einfach dem Ratschlag Infernos; wenn nicht, lerne lieber Texte zu verstehen - meiner Meinung nach kommt der Rest von selbst. Ich würde anfangs mehr Mühe darauf verwenden, Grammatik und Satzbau und ganz allgemein Texte zu verstehen und selbst bilden zu können.
Und noch ein Tipp: Solltest du doch lieber jede Lesung und Bedeutung für alle Kanji in den Texten lernen wollen, dann empfehle ich dir, gleich die Bedeutungen anhand eines Kanji-Lexikons (z. B. Bibiko) mit zu lernen und suche dir am Besten einige Wort- und Satzbeispiele für die jeweiligen Vokabeln und Kanji(-Wörter), damit du sie besser einordnen und behalten kannst.
Ich hatte am Anfang lange Zeit den Fehler gemacht, anhand von Internet Listen sämtliche Lesungen aller Kanji zu lernen, die mir untergekommen sind - allerdings ohne auch die Bedeutung zu lernen (
Bibiko gab´s damals noch nicht und ein richtiges Kanji-Lexikon hatte ich auch nicht) und so viel Zeit und Mühe in lange nutzloses Wissen vergeudet, da ich viele der Vokabeln (und um solche handelt es sich ja) nicht anwenden konnte - ja, noch nicht einmal wusste, was sie bedeuten. Dadurch hat sich auch der Lernprozess erschwert, weil ich mangels eines sinnvollen Bezuges die richtigen Lesungen oft vergessen oder verwechselt hatte und sie so immer wieder erneut lernen musste. Leider hatte es bei mir zu lange gedauert, bis ich zu der Erkenntnis gekommen bin, dass mein Weg nicht gerade optimal war.