Jedem das Seine, und ich bleibe bei dem, was ich gesagt habe. Ich möchte nur den Vorwurf weit von mir weisen, daß ich den Film zu "westlich" gesehen habe, weil ich mich - in der Regel mit Erfolg - bemühe, gerade das nicht zu tun.
Ich ziehe Takeshi Kitano oder Akira Kurosawa vor, die mit ganz anderen stilistischen Mitteln und ganz ohne die viel zitierten Schockeffekte ähnliche Gefühle hervorrufen. Kitamura´s Träume waren teilweise so schockierend, daß ich um die letzte, vergleichsweise leicht verdauliche, Episode richtig dankbar war. Schockierend, aber ganz ohne provozierende Bilder.
Bei "Narayama" hatte ich das Gefühl, daß man nicht berühren, sondern nur schockieren wollte. Vielleicht brauche ich diese Bilder nicht, vielleicht schaden sie mehr als sie nutzen, weil ich meine eigene Phantasie einsetze, um mir das vorzustellen, was ein Film nur andeutet, aber nicht zeigt. Ein Mann, der einem Ehepaar und seinen Kindern erzählt, was alles in den bunten Rauchschwaden enthalten ist und was sie anrichten, schockiert mich allemal mehr als ein erwachsener Mann, mit dem keine Frau schlafen will, der es deshalb mit dem Hund der Nachbarin treibt.
Nebenbei bemerkt habe auch ich die Bilder aus "Narayama" bis heute nicht vergessen, aber ich würde mir z.B. einen Film meines Vaters aus Norwegen gern ansehen, ohne beim Anblick der Schlittenhunde (vom Schlitten aus) immer wieder an diese Sodomie-Szene denken zu müssen.
Was ich damit sagen will, ist eigentlich: Die Handlung hat mich sehr wohl schockiert, die Bilder haben sich auch in mein Gedächtnis gebrannt, aber der Film hat mich wegen seiner Umsetzung in keiner Weise berührt, nicht weil ich gefühlskalt bin, sondern weil der Film eine Sprache spricht, die ich nicht verstehe, und das hat nichts mit Osten oder Westen zu tun, sondern mit einer stilistischen Sprache, die vom Land völlig unabhängig ist.
Bei fnac habe ich gerade die folgende Beurteilung gefunden, sehr interessant, auch wenn ich sie überhaupt nicht nachvollziehen kann:
"Dieser Film, der das Ende des Lebens behandelt, ist paradoxerweise sehr belebend. Es ist die japanische Version von "secouer le cocotier" (zu deutsch: "schütteln der Kokospalme", keine Ahnung, was das ist, leider fehlt mir im Moment auch die Zeit, hier weiter zu recherchieren), was bei diversen Bevölkerungsgruppen in den Tropen üblich ist. In unserer Zeit und in unserem Land mag es ein gewisses Thema sein, die Alten einfach dem Tode zu überlassen. Auf jeden Fall muß man den Film gesehen haben, um zu verstehen, warum er paradoxerweise belebend ist." Der Autor gab dem Film 8 von 10 Punkten.
Atomu kann dieses Paradoxon sicher besser nachempfinden als ich, aber aus der Andeutung auf das "schütteln der Kokospalme" geht hervor, daß diese Vorgehensweise in der Vergangenheit weiter verbreitet war als man denkt, sei es nun, um sich der Mäuler zu entledigen, die nur noch verbrauchen, aber nicht mehr produzieren, oder weil die Menschen - so geschehen in diesem Film - es aus Tradtionsgründen selbst wollten. Denn nicht jeder hat sich dagegen gewehrt, auf den Berg geschickt zu werden, im Gegenteil.
EDIT: Ich habe gerade festgestellt, daß "Rhapsodie im August" auch von Kurosawa ist. Wußte ich nicht, ist aber ein gemeinsam mit "Träume" ein ideales Beispiel dafür, was ich meine: Leise, aber eindringlich, anders als "Narayama", haben auf mich aber dieselbe Wirkung, die "Narayama" offenbar auf Atomu hat.