RE: Sind Japaner wirklich so anders?
JapanerInnen sind sehr wohl etwas anders: Sie haben einen ausgesprochenen Hang zur Kompliziertheit (es wundert mich, dass das noch nicht erwähnt wurde).
Mit fast allen JapanerInnen, die ich kenne oder denen ich begegnet bin, habe ich diese Erfahrung gemacht (Ausnahmen bestätigen die Regel).
Ich war zwei Jahre dort, ging während dieser Zeit zur Schule und büffelte Kanji und Grammatik bis auf N2 Niveau. Die Sprache spiegelt es eigentlich sehr schön wieder: Dem Gegenüber nicht zu direkt werden, immer schön um den Punkt kreisen und doch mit wunderschön sanften Ausdrücken eine, falls nötig, gegenteilige Meinung einnehmen. Paradebeispiele sind Leserbriefe, mit denen wir in der Schule immer wieder konfrontiert wurden und bei denen meine Trefferquote der an sich simplen Frage "Ist der Leser dafür oder dagegen?" nur unwesentlich über 50% lag. Das liegt z. T. an meinem Beruf. Ich bin Physiker und Ungenauigkeit meiner Sprache in Wort und Schrift würde kein Arbeitgeber tolerieren. Es gibt z.B. Kurse für japanische Doktoranden (an japanischen Unis), in denen sie lernen, wie man sich deutlich ausdrückt auf Japanisch (das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen...)
Das der sprachtheoretische Teil. Kommen wir nun zur Praxis im Alltag.
An- und abmelden beim Umzug von einer Präfektur in die andere:
Hat beim ersten Ort kaum 10 Minuten gedauert. Nichts anderes würde man auch erwarten. Nicht aber in Kyoto: Das Abmeldeprozedere dauerte über 90 Minuten (habe extra auf die Uhr geschaut). Gut, da war ich noch blutiger Anfänger und habe natürlich nicht die Hälfte von dem verstanden, was mein Gegenüber gesagt hat. Das Ganze gipfelte darin, dass ich handschriftlich in einem Satz (nicht etwa Stichworte) bestätigen musste, dass ich nach A ziehe und dessalb von Kyoto wegziehen möchte. Genau: Kopfschüttel.
Das führt mich direkt zum nächsten Beispiel: Ein Mobile mit Vetrag kaufen (zur Info: Prepaid Handys sind zu teuer, wenn man längere Zeit im Land ist. Familien- und Schülerrermässigung gibt es nur mit Vertrag). Da war meine Frau (Japanerin) dabei. An meinen "Qualifikationen" kanns also nicht gelegen haben. Dauer: 2.5 Stunden. Da noch ein Formular ausfüllen, dort noch ein Ausweis kopieren, hier noch eine Bestätigung per Telefon einholen und so weiter und so fort. Ich habe das günstigste Telefon genommen. Darauf steht in kleinen Katakana "simpel". Das Menu gibt es auch auf Englisch aber die Bedienung ist alles andere als "simpel". Nun, auch diese Hürde hatte ich nach einiger Zeit gemeistert.
Der Herr am Schalter im Stadthaus von Kyoto hat mich gebeten, ein Bankkonto zu eröffnen, damit meine zu viel einbezahlten Prämien der Krankenkasse zurückerstattet werden können. はい。そうします。, sagte ich und dachte, wegen den 2000 Yen gehe ich ganz sicher nicht zu einer Bank und mache mich dort zum Affen. Tasächlich bekomme ich etwa drei Monate später einen Brief aus Kyoto, ich solle doch meine Bankverbindung angeben, damit sie das Geld überweisen können. Ok, einfach ignorieren, dachte ich und legte den Wisch beiseite. Leider vergeht kaum eine Woche, da versucht mich mehrere Male ein Herr aus der Stadtverwaltung telefonisch zu erreichen wegen, na ihr wisst schon. Freundlich, wie ich bin, habe ich mich entschuldigt und ihm versichert, die Angaben baldmöglichst zu schicken. Ihr wisst, was das heisst. Genau. 口座を開きましょう。Hier die Kurzfassung. Dauer: 1.5 Stunden. Die freundliche Dame am Schalter tat mir echt Leid. Nach jeder Eintragung müsste sie in ein Hinterzimmer gehen und eine Bestätigung einholen. Zum Abschluss die Krönung: Als Ausländer braucht man zusätzlich zum Hanko (Stempel) noch eine Unterschrift. Ok, das ist jetzt nicht weiter schwer, werdet ihr sagen. Nur, wusstet ihr, dass bei dieser Bank mit grossen Blockbuchstaben unterzeichnet werden musste?
Nach etwa einem Jahr in diesem Land bin ich zur Überzeugung gelangt, dass Kompliziertheit als eine Eigenschaft von gutem Service betrachtet wird. In einem einfachen Onsen zieht man sich um und legt seine Sachen in einen Spint. In einem gehobenen Onsen zieht man sich dreimal um, benutzt mehrer Spint und alles in genau festgelegter Reihenfolge, auch der Gebrauch der Tücher und und und.
Ein Kumpel aus der Schule meinte, hey, solange wir noch hier sind sollten wir unbedingt den Fuji besteigen. Gesagt, getan und einen Monat später sassen wir im Nachtbus, der uns zum ziemlich weit entfernten Fuji brachte. Die Vorfreunde war riesig: Endlich etwas Bewegung, schöne Aussichten und gute Luft. Fürs wandern sind keine Durchsagen zu befolgen oder Formulare auszufüllen oder fremde Regeln zu studieren. Da hatte ich die Rechnung allerdings ohne die Reiseleiterin gemacht. Gerade als ich etwas nach drei Uhr morgens ein bisschen einnicken konnte, wurde ich von ihrer Stimme geweckt, welche Dank dem Mikrofon deutlich wahrnehmbar war. Ok, ein paar Durchsagen, wie's nachher weitergeht, dachte ich mir. Aber weit gefehlt: Jedes noch so winzige Detail wie und was man zu tun und zu lassen hat, wie man wandert, wie man sich verpflegt und und und. Man muss es erlebt haben, um es zu glauben.
Nun denn. Jedem das seine. Ich habe die direkte Art meiner koreanischen und taiwanesischen Kumpels sehr geschätzt. Mit JapanerInnen konnte ich diese Erfahrung (bis auf zwei Ausnahme) nicht machen. Zufall? Ich glaube nicht.
Koreanerinnen lernen übrigens beneidenswert schnell und gut Japanisch und sprechen es auch fast akzentfrei aus. Aber sie drücken sich zu direkt aus: Ihnen fehlt dieses weiche, unfassbare, an dem sie die japanischen Muttersprachler erkennen, sagt meine Frau. Und die muss es ja wissen.
Und noch etwas:
Bitter ist es vor allem für japanische Frauen (weil sie einem viel strengeren Verhaltenskodex unterliegen, als Männer), die längere Zeit im Ausland gelebt haben und wieder in ihre Heimat zurückkehren. Sie haben Mühe, sich anzupassen und empfinden besagte Kompliziertheit als Belastung, obwohl sie perfekt japanisch sprechen. (frei zitiert von einer Lehrerin).
Es hat halt schon seine Gründe, warum man ein Kanji manchmal on und manchmal kun liest und sich auch JapanerInnen nicht immer sicher sind, welche Form von Keigo jetzt die passende ist und warum man Dinge vielleicht denkt, aber nicht sagt.
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 24.09.12 23:20 von Haene.)
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