@X7Hell
Zitat:Natürlich unterscheiden auch japanische Linguisten zwischen Silben und Mora.
Das eben wollte ich sagen.
Zitat:Für die japanische Sprache bleibt der Begriff der Silbe aber weitgehend ohne Konsequenz.
Das will ich nicht bestreiten.
Ich denke, wir sind im Grunde gar nicht so weit auseinander mit unseren Ansichten. Eine Sache in Deinem ersten Posting hat mich allerdings eben schon stutzen lassen, und zwar das kleine Wörtchen "blind" im Zusammenhang davon, daß die Linguisten, mit denen ich zu tun hatte und deren Bücher ich las, den westlichen Silbenbegriff übernehmen.
Ich habe jetzt leider auch kein etymologisches Wörterbuch zur Hand, aber ich wäre nicht verwundert, wenn nicht die
Unterscheidung von onsetu und môra, sondern gerade ihre
Nicht-Unterscheidung auf ein "blindes" Nachahmen westlicher Linguistik zurückzuführen wäre.
Ich kann mich nämlich des Eindrucks nicht erwehren, daß "onsetsu" eines der unzähligen Wörter ist, die in der Meiji-Zeit geprägt wurden, um westliche Wissenschaft übersetzen zu können. Die westliche "Silbe/syllable" wurde zur japanischen "onsetsu", die westliche "Silbenschrift" wurde zu "onsetsu-moji", Punkt. Es ist ja wohl nicht so gewesen, daß "Silbenschrift" etwa eine Übersetzung des alten japanischen Begriffes "onsetsu-moji" darstellt, als eben andersherum! Wenn jemand "blind" vom Westen übernommen hat, ohne groß auf die tatsächlichen Gegebenheiten der japanischen Sprache zu schauen, dann die Leute, welche die "onsetsu" einführten.
Die
Unterscheidung der môra von der onsetsu dagegen scheint mir wesentlich jüngeren Datums zu sein. Also keineswegs eine blinde Übernahme, sondern das Ergebnis der bewußten Auseinandersetzung damit, daß die blind übernommene "onsetsu = Silbe" eben die Bedürfnisse der japanischen Philologie
nicht befriedigt.
Im Grunde hat - wie Du richtig sagst - die "Silbe" (im westlichen Sinn) im Japanischen praktisch so gut wie keinen Erklärwert. Die More dagegen sehr wohl. Wohl aus diesem Grund bestehen die Linguisten, mit denen ich mich auseinandersetzte, auf der klaren Trennung von "onsetsu" (= "blind" übernommene westliche Silbe ohne wirklichen Nutzen für die japanische Linguistik) und "môra" (= sozusagen "japanische Silbe", mit der man wirklich viel beschreiben kann).
Die von Dir angeführte Gleichsetzung von môra und onsetsu bzw. die Benennung dessen, was eigentlich "môra" heißen müßte, mit "onsetsu", wäre dann ein weiterer Schritt, indem man quasi die in der Meiji-Zeit übernommene westliche Silbe (onsetsu) wegen Nutzlosigkeit abschafft und den bis dato dafür verwendeten Terminus auf die "japanische Silbe" (bzw. More) überträgt.
@fuyutenshi
Ich genieße zwar die Diskussion in vollen Zügen, allerdings ist mir jetzt erst recht unklar, wovon Du eigentlich sprichst (und ich glaube, Du weißt es selbst auch nicht so recht...) Vielleicht kannst Du es noch ein wenig erläutern.
Oben stelltes Du Deine Silbenfrage in den Zusammenhang mit Spracherkennung. Daraus habe ich geschlußfolgert, daß Du "Silbe" als phonetische Erscheinung deutest. Das unterstreicht auch noch einmal Deine Definition: "... die sich in einem Zug aussprechen lassen (Sprecheinheit). Sie stellt die kleinste Lautgruppe im natürlichen Sprechfluss dar. Sie ist eine phonetische... (E)inheit". Wenn Du "Silbe" also als phonetisches Gebilde betrachtest, dann kannst Du nicht vom Vorhandensein soundsovieler Schriftzeichen auf das Vorhandensein soundsovieler "Silben" schließen. Wie oben gezeigt, wird das Schriftzeichen ん im Japanischen phonetisch auf diverse Weise realisiert. Und mit den anderen Zeichen ist es nicht viel anders. Des weiteren: Was machst Du mit Diphthongen? Wieviele Deiner "Silben" besitzt ein Wort wie せんだい? Wohl doch nicht soviele wie Hiragana-Zeichen, oder? Wenn か und が "Silben" sind, dann sind es doch auch かい und がい, かん und がん, かう und がう etc. Wenn Du das für alle konsonantischen "Silben" durchexerzierst, dürftest Du wohl viel, viel mehr als 107 oder 108 Silben haben... Und wenn Du sagst "Nein, sowas zähle ich nicht mit", dann widersprichst Du Deiner Definition davon, daß es sich bei "Silben" um phonetische Gebilde handelt, die sich "in einem Zug aussprechen lassen"... Knifflig, nicht wahr?
Und eben so etwas meinte ich, als ich Herrn Einstein zitierte. Einfach machen ist ja schön und gut, aber wenn man sich etwas ZU einfach macht, entstehen Ungereimtheiten und lauter neue Probleme, die man doch eigentlich vermeiden wollte... Daß "Wissenschaft" so "kompliziert" ist, liegt ja nicht daran, daß die Wissenschaftler vor lauter Langeweile sich komplizierte Beschreibungen für Sachen ausdenken, die man auch einfach haben könnte, sondern daran, daß man versucht, die Probleme zu lösen, die daraus resultieren, wenn man etwas "einfach" betrachtet. Die Anfänge jeder Wissenschaft sind "einfach"... dann merkt man, daß sich lauter Probleme auftun, die man nicht lösen kann, und DESHALB fängt man an, die Dinge differenzierter zu sehen. Natürlich schießt man dabei auch manchmal über das Ziel hinaus und verkompliziert Dinge mehr als unbedingt nötig - das ist das, wogegen Einstein sich wandte -, aber im Grunde macht man Differenzierungen nicht aus Spaß an der Freude, sondern aus Notwendigkeit, weil man sonst nicht weiterkommt.
Wenn man von der Schrift auf die phonetischen "Silben" einer Sprache schließen wollte, wieviele Vokale hat dann das Deutsche? A-e-i-o-u ... und noch ä-ö-ü... macht 8. Aber das sind eben nur die Schriftzeichen. In der Phonetik des Deutschen unterscheidet man jedoch mehr als die doppelte Anzahl verschiedener vokalischer Laute! In manchen Fällen ist es dabei so, daß dasselbe Schriftzeichen in verschiedener Weise gesprochen wird, und in anderen Fällen ist es so, daß verschiedene Schriftzeichen die gleiche Lautung haben. Schrift und Aussprache stehen nur sehr bedingt in Zusammenhang. Das (erste) "e" in "beten" ist lautlich völlig von dem in "Betten" verschieden, und noch einmal anders ist das "e" in "murmeln" und noch wieder ganz anders das in "Rotte" usw. usf. Es geht hier nicht um Dimensionen von "107 oder 108", sondern um VIELFACHE.
Eine Spracherkennung, die nur dann ん erkennt, wenn man es [n] spricht, würde nicht viel taugen.
Wie gesagt: Egal, welchen Aspekt man betrachtet oder wie man nun "Silbe" definiert - die japanische Sprache hat da einen wesentlich geringeren Bestand als die deutsche (schon allein, weil in ihr "einsilbige" Wörter nach dem Schema von "schnarch" oder "Strumpf" nicht möglich sind), aber bei dieser Betrachtung von den
Schriftzeichen auszugehen, ist auf jeden Fall praktisch ohne jeden Aussagewert.