RE: Prozentsatz Schuluniformen?
Hallo, Mika.
Ich werde Dich überhaupt nicht auslachen. Wieso sollte ich?
Ich habe mit keinem Wort gesagt, daß ich Deinen Wunsch nach einer Uniform lächerlich finde. (Und für alle, die gern wieder irgend etwas "zwischen die Zeilen" hineininterpretieren möchten: Nein, ich habe das nicht nur NICHT GESAGT, ich habe es auch NICHT GEMEINT.)
Wie ich schon schrieb: Solange ich dachte, Du wolltest eine Uniform, weil Du das eben "cool" oder sonstwie aus ästhetischen Gründen anziehend fändest, habe ich mich dazu nicht geäußert - hätte ich auch nie getan. Anziehen soll doch jeder, was ihm gefällt. Und wenn nunmal jemandem Schuluniformen gefallen, warum sollte er dann keine tragen. Bitteschön, jedem wie's beliebt.
Stutzig wurde ich erst, als ich aus Deinen Postings allmählich den Eindruck bekam, Du würdest die Uniform eben nicht aus ästhetischen Gründen tragen wollen, sondern z. B. um Dich damit stärker einer Gruppe zugehörig zu fühlen - noch dazu einer, die dieses Mittel der Vermittlung eines "Wir-Gefühls" selbst gar nicht verwendet.
Das ist doch ähnlich, als wenn ein - sagen wir - schwarzhäutiger kenianischer Austauschschüler für ein Jahr an eine Dorfschule nach Mecklenburg kommt (ich nehme dieses Beispiel, um deutlich zu machen, daß er dort auf jeden Fall der bunte Hund ist), und es bedauern würde, daß seine Mitschüler keine Uniformen tragen. Und daß er - wenn man ihn fragte, wieso er das bedauerte - antworten würde, daß er sich das sehr wünschen würde, um sich besser in seine Gast-Klasse integrieren zu können. Du mußt zugeben: So eine Ansicht ist schon etwas irritierend, oder?
Wie gesagt: Ich wollte und werde Dich nicht auslachen. Es hat mich nur stutzig gemacht, und ich wollte gern erfahren, was die Gründe für diesen - aus meiner Sicht verwirrenden - Wunsch sind.
Aus Deinem letzten Posting lese ich zwei Gründe heraus:
1. Du möchtest, daß Dich Passanten auf dem Schulweg nicht für einen Touristen halten.
2. Du findest es spannend, einmal auszuprobieren, wie es ist, eine Uniform zu tragen - zumal Du in Deutschland nicht so leicht die Gelegenheit dazu hast.
Habe ich das richtig erkannt?
zu 1.: Ich glaube, wenn Dich die Passanten mit einer Schuluniform sehen würden, wärest Du in den Augen der meisten einfach bloß ein etwas schräg gekleideter Tourist. Dem, daß Du als "dazugehörig" oder "eine von uns" betrachtet würdest, steht schon Dein vermutlich europides Äußeres entgegen. Bestenfalls würde man Dich vielleicht für eine Gastschülerin halten (die Du ja auch bist), aber ich glaube nicht, daß die meisten Japaner einen großen Unterschied zwischen "Gastschüler" und "Tourist" machen - weder in ihren Ansichten noch in ihrem Verhalten. Du bist und bleibst in allererster Linie ein Gaijin - so wie der Kenianer im mecklenburgischen Dorf - da nützt alles Verkleiden nichts.
zu 2.: Vermutlich bin ich durch mein eigenes Leben zum Thema Uniformen voreingenommen - auf jeden Fall vorbelastet. Ich mußte schon diverse Dinge anziehen, die Uniformcharakter hatten, und ich habe das stets negativ gesehen. Zum einen, weil die Ästhetik meist sehr auf der Strecke blieb, zum anderen aber auch, weil man mich dadurch nötigte, vor aller Welt die Zugehörigkeit zu einer Gruppe auszudrücken, die ich mir nicht ausgesucht hatte. Steckt man in so einer Uniform, so ist man "einer von denen". Und man wird unwillkürlich mit allem Schönen, aber auch mit allem weniger Schönen, was diese Gruppe betrifft, identifiziert. Das ist eine "Good or bad - my country"-Geschichte. Ich habe mich stets sehr unwohl dabei gefühlt, als Mitglied einer Organisation betrachtet zu werden, die vermittels der Uniform in die Köpfe ihrer Mitglieder den Irrglauben einpflanzen will, sie seien alle Freunde oder Kameraden. Das ist nämlich Blödsinn. Bloß, weil ich in derselben Uniform stecke wie tausend andere, deswegen stehe ich diesen Leuten dennoch keinen Millimeter näher. Ob sie eine Uniform anhaben oder nicht: Das sind immer noch dieselben Freunde oder auch dieselben Schweine wie vorher. Da soll ein "Wir sind eine Gemeinschaft, verstehen uns gut und ziehen alle am selben Strang"-Gefühl geweckt werden, hinter dem in Wirklichkeit keine Substanz steckt. Das ist eine Seifenblase. Und trotzdem wird man in einer Uniform zu allererst einmal als "Armeesoldat" oder "FDJler" oder sonst etwas betrachtet - erst in nachgeordneter Linie ist man "Mika" oder "Botchan". Das heißt, man wird über seine "Rolle" definiert, nicht über seine "Person". Ich gebe zu, daß das eine interessante Erfahrung sein kann ("fascinating" im Spock'schen Sinne), aber eine schöne Erfahrung war es zumindest für mich nie.
Ich hoffe, ich konnte Dir etwas begreiflicher machen, was mich an Deinem Wunsch nach einer Uniform irritiert. Und noch einmal: Ich halte Dich weder für durchgeknallt noch für hysterisch, und ich werde auch sicher nicht über Dich lachen.
Viele Grüße,
Botchan.
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 27.08.04 12:35 von Botchan.)
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