Beitrag #7
RE: Nou, Kabuki und Film
Das Buch, in dem der Text zum Noustück "Ataka" auf Englisch mit Anmerkungen abgedruckt war, ist :
The Nippon Gakujutsu Shinkoukai (Hrsg.): Japanese Noh Drama. Ten Plays Selected and Translated from the Japanese. Band 3. Tokyo 1960.
"Kanjinchou" befindet sich in Scott, A.C.: Kanjinchô. A Japanese Kabuki Play. Tokyo 1953.
Ich werde sehen, ob ich die Originaltexte noch herbekomme. Das altertümliche Japanisch des Nou ist mir zwar zu schwer, aber nur die Übersetzung ist auch nicht so gut.
Nun zu dem, was ich bisher herausgefunden habe:
Die Geschichte geht auf ein historisches Ereignis zurück. Yoshitomo no Minamoto hat zwei Söhne aber von unterschiedlichen Frauen: Yoritomo und Yoshitsune, der (wegen der Mutter) niedriger im Rang steht. Zwischen ihrem Clan, den Genji und den herrschenden Heike (geführt von den Taira) kam es zum Krieg, den die Genji schließlich gewannen, nachdem Yoshitsune einige bedeutende Siege errang. Yoritomo wurde neuer weltlicher Herrscher Japans, Hauptstadt war Kamakura. Der Kaiser verlieh Yoshitsune den Rang eines "Hougan". Leider fragte er vorher seinen Bruder nicht um Erlaubnis, ob er die Ehre annehmen dürfe und damit war die Fehde geboren. Auf der Flucht zu einem befreundeten Fürsten überquerten sie in Verkleidung mehrere Grenzposten, der erste (und daher wichtigste) war in Ataka.
Unterschiedlich ist in jeder Bearbeitung die Zahl der Begleiter Yoshitsunes. In einer historischen Quelle habe ich übrigens noch gefunden, daß ihn auch eine getreue Dame begleitet hat. Die ist in allen drei Fällen nicht dabei.
Vollkommen neu ist in Kuroswas Film die Rolle des narrenhaften Trägers. In "Ataka" gibt es zwar einen Träger, er ist aber nur eine devote Nebefigur, ein Stichwortgeber. Der "Narr" (ich nenne die Rolle mal so) führt im Film einen interessanten zusätzlichen Blickwinkel ein. In "Ataka" halten die Getreuen Yoshitsunes z.B.: Kriegsrat und kommen zum Schluß, daß sie selbst als Yamabushi (Wandermönche) durchgehen mögen, man aber die edle Abstammung und das noble Wesen ihres Herrn Yoshitsune in der Verkleidung erkennen könne. Im Film sagt der Narr, alle seien so groß und stark nur der dort drüben (Yoshitsune) nicht, der sähe aus wie ein Mädchen.
Alle drei Fassungen konzentrieren sich auf Benkei (dem Anführer der Getreuen) vs. Togashi (dem Grenzwächter). Im Nou ist Benkei der Shite (ungefähr: Hauptspieler), Togashi der Waki (ungefähr: Nebenspieler), Yoshitsune (nur) ein Kokata (wird von einem Kind gespielt).
Zentral ist der Spendenaufruf (=kanjinchou), den Benkei vorlesen soll. In allen Versionen nimmt Benkei, der mit dieser Bitte nicht gerechnet hat eine leere Schriftrolle und improvisiert. Im No schleicht Togashi langsam heran und Benkei weicht ebenso langsam zurück. Gerade, als Togashi einen Blick hineinwerfen will, kommt Beneki zum Ende und steckt die Rolle weg.
Im Kabuki gelingt es Togashi, die Rolle zu sehen. Er erkennt, daß sie leer ist, sagt aber nichts. Er gibt Benkei eine Chance, den Rest von der Wachmannschaft davon zu überzeugen, daß er tatsächlich ein Mönch ist.
Im Film versucht Togashis Adjutant einen Blick auf die Rolle zu werfen. Benkei faltet sie zwar noch rechtzeitig zusammen, aber dabei sieht man nicht, was Togashi von der Aktion mitbekommt. Im Film wird offen gelassen, ob Togashi den Schwindel durchschaut und Benkei hilft oder ob er überlistet wird.
Togashi lässt die "Mönche" ziehen, doch als sie gerade das Areal verlassen, wird ein Soldat (im Nou und im Film der Adjutant) auf Yoshitsune aufmerksam. Die Situation droht zu eskalieren. Im Nou und im Kabuki gibt es hier einen Tanz, bei dem die Gruppe der Getreuen und der Wächter sich gegenüber stehen, vor- und zurückweichen und Benkei mit seinem Mönchsstab sie gerade noch davon abahlten kann, mit Schwertern aufeinander einzuhauen. Statt dessen verprügelt er den "lahmen Träger". Da es unmöglich sein kann, daß ein Samurai seinen Herrn schlägt, und sei es, um ihn zu retten, werden sie wieder freigelassen. Im Kabuki bietet Benkei sogar an, den Träger entweder zurückzulassen oder totzuschlagen.
Es folgt in allen Versionen der Gewissenskonflikt Benkeis. Im Kabuki weint er sogar, wie der Chor singt, das erste Mal in seinem Leben. Im Nou weint Yoshitsune über die Treue und das Pflichtgefühl Benkeis. Im Nou und im Kabuki folgt jetzt ein weitschweifiger (und etwas wehleidiger) Rückblick über die ruhmreichen Taten, die man im Krieg vollbracht hat und den Undank, den man dafür geernet hat.
Die Sakeepisode ist, wegen der Tänze, im Theater breiter ausgewalzt und mit Zitaten aus Gedichten gespickt. In allen drei Versionen trinkt Benkei aus dieser großen Lackschachtel den Sake literweise. Im Film hat hier der Narr noch mal eine starken Auftritt mit seinem unbeholfenen Tanz, der ihn für kurze Zeit sogar in die Arme einer der Getreuen Samurai fallen lässt.
Im Theater besinnt sich Benkei mitten im Tanz der Gefahr und drängt zum Aufbruch. Abgang (Im Kabuki mit vielen komplizierten Posen).
Im Film wird der Aufbruch nicht gezeigt, stattdessen sieht man den Narren allein aufwachen, beschenkt mit dem Brokatgewand Yoshitsunes. Er macht ein paar Tanzschritte.
Bei den Dialogen gibt es Stellen, die genau gleich sind. Aber es gibt auch große Unterschiede. Im Film übernimmt der Chor ein paar interessante Passagen. Der Titel des Filmes kommt übrigens beim Kabuki vor, wenn der Chor kommentiert, die Männer fühlten sich nun, da sie den Grenzposten endlich überwunden haben, als hätten sie einem Tiger auf den Schwanz getreten..
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 04.04.04 22:37 von Ma-kun.)
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