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Nou, Kabuki und Film
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Ma-kun
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Beitrag #1
Nou, Kabuki und Film
Vor Kurzem lief auf arte der Film "Tora no o wo fumu otokotachi" (die Männer, die dem Tiger auf den Schwanz traten).
Wie ich erfahren habe, geht er auf das berühmte Kabukistück "Kanjinchou" zurück, das wiederum auf das Noustück "Ataka" zurückgeht.
Da ich mich (quasi von Berufs wegen) sehr für Film interessiere, finde ich es interessant, die Zusammenhänge zwischen den Theater- und Filmtraditionen zu sehen. Was haltet Ihr von so "theatralen" Filmen?
Kennt Ihr vielleicht gute Bücher und Seiten zu diesem Thema?

Und noch eine große Bitte: Weiß jemand, wie ich an die Originaltexte der Theaterstücke (wenn es geht mti Übersetzung, da das dort verwendete Japanisch mir zu schwierig ist) rankommen kann? Obwohl Kanjinchou zu den berühmten 18 Stücken gehört, habe ich bisher leider keinen Text bekommen und bei Ataka muß ich meine Hoffnung darauf stezen, daß eine Magazinbestellung noch funktioniert hat, bevor die Staatsbiblithek am 2. April für eine Computerumstellung alle Schotten dicht macht.
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 01.04.04 10:55 von Ma-kun.)
01.04.04 10:55
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Beitrag #2
RE: Nou, Kabuki und Film
Hallo Ma-Kun!

Den Film habe ich noch nicht gesehen, aber zumindest aufgenommen. Werde also zu einem späterem Zeitpunkt hier noch meinen Senf dazugeben.

Zu Deiner Bitte: Also um ehrlich zu sein ist mein Wissen über die juuhachiban sehr bescheiden; mein persönliches Interesse an Kabuki ist über einen Besuch im Kanamaruza (Kotohira/Shikoku) nie sonderlich hinausgegangen... Was Du vielleicht machen könntest wäre in der Kabuki Bibliography http://www.fix.co.jp/kabuki/biblio.html zu stöbern und Sam Leiter, den Autor der Kabuki Encyclopedia zu kontaktieren. Er sollte eigentlich wissen, wie man an solche Dinge rankommt. Ansonsten fällt mir nur noch die Questia http://www.questia.com/ ein. Vielleicht findest Du ja dort einen Hinweis.

Viel Glück!
01.04.04 12:58
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Ma-kun
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Beitrag #3
RE: Nou, Kabuki und Film
Danke für die schönen Links, AU.

Als ich nach einem der Bücher, die mir questia genannt hat gesucht habe, ist mir witzigerweise heute in der Bibliothek ein mürbes altes Buch in die Hände gefallen, daß nicht im Katalog war, aber den gesuchten Text enthält. Wunderbar.
01.04.04 20:48
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Denkbär


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Beitrag #4
RE: Nou, Kabuki und Film
Hallo, Ma-kun,
ich habe zwar den Film auf arte gesehen, habe mich mit Kabuki aber noch nicht näher beschäftigt. Die Theatralik war schon sehr zu bemerken, mich würde jetzt aber interessieren, was du über den Text als Grundlage für den Film herausgefunden hast. 'Theatralische' Filme sind immer so eine Sache. Bei machen Filmen ist das Theater zu deutlich zu bemerken, aber bei "Die Männer, die dem Tiger auf den Schwanz traten" fand ich die Umsetzung sehr angemessen. So ähnlich geht es mir bei Hitchcocks 'Rope', dessen Theaterursprung sich nicht verleugnen lässt, das aber trotzdem als Film - meiner Ansicht nach - sehr beeindruckend ist.
Und dann noch eine Laienfrage: Was sind denn die 18 berühmten Stücke und warum sind sie so berühmt????
03.04.04 18:19
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Beitrag #5
RE: Nou, Kabuki und Film
@Denkbär: Juuhachiban sind die 18 besten Kabuki Stücke, die von der Ichikawa Familie aufgeführt wurden. Viele Szenen hieraus wurden in Ukiyoe (Farbholzschnitten) verewigt. Diese Stücke durften nur von Mitgliedern der Ichikawa Familie gespielt werden. Andere Schauspieler benötigten dafür eine Genehmigung. Das wohl berühmteste Stück aus den 18 ist das von Ma-Kun erwähnte „Kanjinchou“. Mehr findest Du hier:

http://www.kabuki21.com/glossaire_4.htm

http://www.aisf.or.jp/~jaanus/ (einfach juuhachiban eingeben)

@Ma-kun: Gern geschehen! Könntest Du mir vielleicht den Titel des mürben alten Buches nennen? Bin zwar kein Kabuki-Fan/-Experte, würde es aber gern in meine persönliche Infoliste aufnehmen.
04.04.04 18:32
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Denkbär


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Beitrag #6
RE: Nou, Kabuki und Film
Vielen Dank, AU. Da bin ich schon mal gleich ein bisschen schlauer geworden (bzw. habe noch ein paar Internet-Seiten in meinen Favoriten). Jetzt warte ich aber noch auf deinen Senf zu dem Film, bei dem du hoffentlich diesmal kein Bastelsendung des Kika drauf hast. zunge
04.04.04 19:32
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Ma-kun
Thronregent

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Beitrag #7
RE: Nou, Kabuki und Film
Das Buch, in dem der Text zum Noustück "Ataka" auf Englisch mit Anmerkungen abgedruckt war, ist :
The Nippon Gakujutsu Shinkoukai (Hrsg.): Japanese Noh Drama. Ten Plays Selected and Translated from the Japanese. Band 3. Tokyo 1960.
"Kanjinchou" befindet sich in Scott, A.C.: Kanjinchô. A Japanese Kabuki Play. Tokyo 1953.

Ich werde sehen, ob ich die Originaltexte noch herbekomme. Das altertümliche Japanisch des Nou ist mir zwar zu schwer, aber nur die Übersetzung ist auch nicht so gut.


Nun zu dem, was ich bisher herausgefunden habe:
Die Geschichte geht auf ein historisches Ereignis zurück. Yoshitomo no Minamoto hat zwei Söhne aber von unterschiedlichen Frauen: Yoritomo und Yoshitsune, der (wegen der Mutter) niedriger im Rang steht. Zwischen ihrem Clan, den Genji und den herrschenden Heike (geführt von den Taira) kam es zum Krieg, den die Genji schließlich gewannen, nachdem Yoshitsune einige bedeutende Siege errang. Yoritomo wurde neuer weltlicher Herrscher Japans, Hauptstadt war Kamakura. Der Kaiser verlieh Yoshitsune den Rang eines "Hougan". Leider fragte er vorher seinen Bruder nicht um Erlaubnis, ob er die Ehre annehmen dürfe und damit war die Fehde geboren. Auf der Flucht zu einem befreundeten Fürsten überquerten sie in Verkleidung mehrere Grenzposten, der erste (und daher wichtigste) war in Ataka.


Unterschiedlich ist in jeder Bearbeitung die Zahl der Begleiter Yoshitsunes. In einer historischen Quelle habe ich übrigens noch gefunden, daß ihn auch eine getreue Dame begleitet hat. Die ist in allen drei Fällen nicht dabei.

Vollkommen neu ist in Kuroswas Film die Rolle des narrenhaften Trägers. In "Ataka" gibt es zwar einen Träger, er ist aber nur eine devote Nebefigur, ein Stichwortgeber. Der "Narr" (ich nenne die Rolle mal so) führt im Film einen interessanten zusätzlichen Blickwinkel ein. In "Ataka" halten die Getreuen Yoshitsunes z.B.: Kriegsrat und kommen zum Schluß, daß sie selbst als Yamabushi (Wandermönche) durchgehen mögen, man aber die edle Abstammung und das noble Wesen ihres Herrn Yoshitsune in der Verkleidung erkennen könne. Im Film sagt der Narr, alle seien so groß und stark nur der dort drüben (Yoshitsune) nicht, der sähe aus wie ein Mädchen.

Alle drei Fassungen konzentrieren sich auf Benkei (dem Anführer der Getreuen) vs. Togashi (dem Grenzwächter). Im Nou ist Benkei der Shite (ungefähr: Hauptspieler), Togashi der Waki (ungefähr: Nebenspieler), Yoshitsune (nur) ein Kokata (wird von einem Kind gespielt).

Zentral ist der Spendenaufruf (=kanjinchou), den Benkei vorlesen soll. In allen Versionen nimmt Benkei, der mit dieser Bitte nicht gerechnet hat eine leere Schriftrolle und improvisiert. Im No schleicht Togashi langsam heran und Benkei weicht ebenso langsam zurück. Gerade, als Togashi einen Blick hineinwerfen will, kommt Beneki zum Ende und steckt die Rolle weg.
Im Kabuki gelingt es Togashi, die Rolle zu sehen. Er erkennt, daß sie leer ist, sagt aber nichts. Er gibt Benkei eine Chance, den Rest von der Wachmannschaft davon zu überzeugen, daß er tatsächlich ein Mönch ist.
Im Film versucht Togashis Adjutant einen Blick auf die Rolle zu werfen. Benkei faltet sie zwar noch rechtzeitig zusammen, aber dabei sieht man nicht, was Togashi von der Aktion mitbekommt. Im Film wird offen gelassen, ob Togashi den Schwindel durchschaut und Benkei hilft oder ob er überlistet wird.

Togashi lässt die "Mönche" ziehen, doch als sie gerade das Areal verlassen, wird ein Soldat (im Nou und im Film der Adjutant) auf Yoshitsune aufmerksam. Die Situation droht zu eskalieren. Im Nou und im Kabuki gibt es hier einen Tanz, bei dem die Gruppe der Getreuen und der Wächter sich gegenüber stehen, vor- und zurückweichen und Benkei mit seinem Mönchsstab sie gerade noch davon abahlten kann, mit Schwertern aufeinander einzuhauen. Statt dessen verprügelt er den "lahmen Träger". Da es unmöglich sein kann, daß ein Samurai seinen Herrn schlägt, und sei es, um ihn zu retten, werden sie wieder freigelassen. Im Kabuki bietet Benkei sogar an, den Träger entweder zurückzulassen oder totzuschlagen.

Es folgt in allen Versionen der Gewissenskonflikt Benkeis. Im Kabuki weint er sogar, wie der Chor singt, das erste Mal in seinem Leben. Im Nou weint Yoshitsune über die Treue und das Pflichtgefühl Benkeis. Im Nou und im Kabuki folgt jetzt ein weitschweifiger (und etwas wehleidiger) Rückblick über die ruhmreichen Taten, die man im Krieg vollbracht hat und den Undank, den man dafür geernet hat.

Die Sakeepisode ist, wegen der Tänze, im Theater breiter ausgewalzt und mit Zitaten aus Gedichten gespickt. In allen drei Versionen trinkt Benkei aus dieser großen Lackschachtel den Sake literweise. Im Film hat hier der Narr noch mal eine starken Auftritt mit seinem unbeholfenen Tanz, der ihn für kurze Zeit sogar in die Arme einer der Getreuen Samurai fallen lässt.
Im Theater besinnt sich Benkei mitten im Tanz der Gefahr und drängt zum Aufbruch. Abgang (Im Kabuki mit vielen komplizierten Posen).
Im Film wird der Aufbruch nicht gezeigt, stattdessen sieht man den Narren allein aufwachen, beschenkt mit dem Brokatgewand Yoshitsunes. Er macht ein paar Tanzschritte.

Bei den Dialogen gibt es Stellen, die genau gleich sind. Aber es gibt auch große Unterschiede. Im Film übernimmt der Chor ein paar interessante Passagen. Der Titel des Filmes kommt übrigens beim Kabuki vor, wenn der Chor kommentiert, die Männer fühlten sich nun, da sie den Grenzposten endlich überwunden haben, als hätten sie einem Tiger auf den Schwanz getreten..
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 04.04.04 22:37 von Ma-kun.)
04.04.04 22:33
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Denkbär


Beiträge: 677
Beitrag #8
RE: Nou, Kabuki und Film
Da habe ich natürlich gleich schon wieder Fragen (und Anmerkungen) zunge , auch wenn ich nur den Film kenne.
Bei der Hintergrundgeschichte kam im Film und auch in AUs Link noch zur Sprache, dass Yoshitsunes Bruder durch eine Intrige beeinflusst wurde. Kommt das auch in den Stücken zur Sprache? Hier wäre die Wertung gleich eine andere, denn eine Intrige befreit ja auch den Herrscher von eigener Boshaftigkeit, (sie wäre allerdings wohl auch ein Zeichen von Schwäche) die im Gegensatz zu der Ehrhaftigkeit der Gruppe steht (falls ich das so richtig sehe). Das würde ja vielleicht auch die Handlung Togashis erklären, denn wenn er 'einfach so' die Mönche ziehen ließe, obwohl ihm die Wahrheit bewusst ist, wäre das ja nun auch wieder unehrenhaft. Ich gebe zu, dass ich ihn im Film als ahnungslos (aber auch als wichtigen Gegenspieler) empfunden habe, aber so im Nachhinein fallen mir jetzt doch einige Dinge auf, die mir sein Verhalten näher bringen. Dass er die Schläge Benkeis sofort als Beleg für die 'Echtheit' der Mönche nimmt, erhält dadurch eine ganz andere Bedeutung, denn wenn er weiß, dass es sich um Benkei handelt, spricht er mit seinen Worten (ein Samurai würde nie seinen Herrn schlagen) diesen direkt an. Das finde ich im Film sehr gut eingefangen, denn die Worte treffen Benkei sozusagen mitten ins Herz (womit das Duell der beiden nicht nur zugunsten Benkeis ausgeht, ein Unentschieden, wenn man so will).

Was mich völlig überrascht hat, war die kleinere Rolle für den Narren in den Stücken, denn im Film kommt ihm ja ein zentraler Aspekt zu. Da fragt man sich natürlich, ob Kurosawa damals schon mit Shakespeare (und dessen zwiespältigen Narrenfiguren) zu tun hatte, dessen King Lear er ja 40 Jahre später in seinem Film Ran verarbeitet hat. Der Film weist dem Narren ja wichtige Aufgaben zu: Er erkennt die verkleideten Gefährten. Er gibt den Hinweis darauf, dass man Yoshitsune unmöglich für einen Mönch halten kann (und initiiert auf diese Weise die weitere Verkleidung in einen Träger). Er kundschaftet ungefragt, aber sehr hilfreich, den Grenzposten aus und bietet seine uneingeschränkte Hilfe an. Vor allem aber zerstört er die wichtige, den Feinden bekannte, Zahl der Gefährten (es sind jetzt 6 Mönche und 2 Träger und nicht mehr 7 Mönche) und lenkt mit seinen Witzen die Aufmerksamkeit von Yoshitsune ab. Auch in den letzten Szenen des Saketrinkens und Tanzens hat er eine wichtige Rolle und das letzte Bild gehört ihm allein. Fallen alle diese Aspekte in den Stücken weg??

Bei der Sakeepisode war ich beim Ansehen des Filmes etwas irritiert. Inzwischen sehe ich es so ähnlich wie die vielen Gesänge und Tänze in Dramen aus der Shakespeare-Zeit. Das hat etwas sehr Rituelles und ich hatte beim Anschauen dauernd das Gefühl, mir entgeht aus Unwissenheit irgendetwas (was wohl auch stimmt).

Zitat: Der Titel des Filmes kommt übrigens beim Kabuki vor, wenn der Chor kommentiert, die Männer fühlten sich nun, da sie den Grenzposten endlich überwunden haben, als hätten sie einem Tiger auf den Schwanz getreten..

Kommt denn da auch das Ende des Satzes aus dem Film vor?? Ich habe leider keine Ahnung mehr, vor welcher symbolischen Gefahr sie fortliefen. Etwas in der Art von: ... während sie vor dem Biss der Schlange fliehen. Jedenfalls kommt hier wunderbar die Konfliktsituation der Gefährten zum Ausdruck.
05.04.04 16:38
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Ma-kun
Thronregent

Beiträge: 2.021
Beitrag #9
RE: Nou, Kabuki und Film
In den Theaterstücken wird relativ wenig über die Hintergrundgeschichte gesagt. In der ersten Szene tritt Togashi auf und stellt sich vor. Im Nou sagt er daraufhin, daß Yoshitsune bei Yoritomo in Ungnade gefallen sei und daß letzterer daher Grenzposten wie diese errichtet habe, um seinen Bruder bei der Flucht nach Norden zu fangen. Im Kabuki heisst es, Yoritomo und sein Bruder seien einander entfremdet. Yoshitsune habe daher die Hauptstadt (damit dürfte nicht Kamakura sondern Kyoto, wo immerhin zwei Mordanschläge auf Yoshitsune verübt worden waren gemeint sein)verlassen und sei nun auf dem Weg nach Norden.
Allenfalls in der Kabukiversion kann man einen Hinweis auf eine Intrige herauslesen (durch wen oder was entfremdet?), aber nur wenn man will. Vielleicht ist der Originaltext hier aufschlussreicher.

Yoshitsune scheint sehr bekannt zu sein. Von ihm und dem treuen Benkei gibt es viele Geschichten, die auch dramatisiert wurden. Ich habe gelesen, man fände bei ihm ein "edles Scheitern". Er hat die wichtigen Siege errungen, war beliebt und ein guter Taktiker. Dann aber mußte er fliehen und fand Unterschlupf bei den Hidehira. Als deren Oberhaupt starb verriet dessen Sohn sie an Yoritomo. Die Burg, in der sich Yoshitsune, seine Geliebte und die Getreuen aufhielten wurde belagert und alle starben einer nach dem anderen. Zuletzt beging Benkei in der brennenden Burg Selbstmord.
Wahrscheinlich hatte ein japanischer Zuschauer seiner Zeit dies alles im Blick, wenn nur das Stichwort gegeben wurde.

Es würde mich aber auch sehr interessieren, was Togashis Motive im Kabuki (und vielleicht auch im Film) waren. Eignetlich muß Togashi nach einer solchen Verfehlung ja Selbstmord begehen. Wenn er Benkei sagt, daß sich unter keinen Umständen ein Diener an seinem Herrn vergehen darf klingt dies vielleicht auch an, was meinst Du?

Wie stark und ab wann Shakespeare Kurosawa beeinflusst hat, habe ich leider noch nicht rausbekommen. Es gibt eine Autobiographie, doch die Bubliothek, in der sie steht ist bis nächsten Dienstag geschlossen. Jedenfalls hat ihm die Narrengestalt (übrigens von einem damals sehr beliebten Komiker gespielt) viel Kritik eingebracht. Er entwürdige das Kabuki "Kanjinchou", in dem er wichtige Punkte durch den Träger lächerlich machen lasse.
Der Träge kommentiert zum Beispiel auch gedankenlos diesen Bruderstreit. Er sagt (in etwa), daß es schon schlimm ist, daß man diesen ganzen Zirkus durchmachen müsse, nur weil sich zwei Brüder von da oben in die Haare gekriegt haben.

Allerdings haben Nebenfiguren im Kabuki oft die Möglichkeit, ironische Bemerkungen zu machen. Vielleicht war diese Narrenfigur den Kritikern zu stark. Kennst Du Dich mit den Shakespearenarren aus? Gibt es Gemeinsamkeiten, Unterschiede, Besonderheiten?

Bei der Sakeepsisode habe ich übrigens die ganze Zeit Angst gehabt, die "Mönche" würden sich doch verraten. Der Träger konnte ja schon im nüchternen Zustand seine Klappe kaum halten und der rauhbeinige Benkei, der den Sake aus Schachteldeckeln trank machte nicht gerade einen vertrauenserweckenden Eindruck. Wahrscheinlich ist es hier her ein Zitat von Zitaten: die Theaterszene zitiert einige Gedichte und alte Bräuche. Der Zuschauer wußte, was gemeint war. Außerdem hatte man eine Ausrede, wieder ein paar prachtvolle Tänze zu bringen. In der Filmszene sind die Zitate und die Tänze auf ein oder zwei verdichtet. Wahrscheinlich, weil man davon ausgeht, daß der Zuschauer weiß, was im Theaterstück kommt. Vielleicht war es aber auch Ironie. So eine Art "So war's wirklich."

Zitat: Kommt denn da auch das Ende des Satzes aus dem Film vor?? Ich habe leider keine Ahnung mehr, vor welcher symbolischen Gefahr sie fortliefen. Etwas in der Art von: ... während sie vor dem Biss der Schlange fliehen. Jedenfalls kommt hier wunderbar die Konfliktsituation der Gefährten zum Ausdruck.
Ich zitiere aus dem englischen Text von Scott. Während des Tanzes von Benkei gehen die anderen Getreuen ab. Benkeis Tanz führt auf den Hanamichi. Vorhang:
Song: (...) They took the oizuru and slung it over their shoulders as if they were treading on the tail of a tiger or escaping from the fangs of a poisonous serpent. They departed on their way to Michinoku, they departed on their way to Michinoku."
Im Film heißt es "Sie fühlen sich, als würden sie einem Tiger auf den Schwanz treten, um den Giftzähnen einer Schlange zu entgehen".
Hier dürfte er Originaltext wohl mehr Aufschluß geben. Der muß doch irgendwie zu beschaffen sein.
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 07.04.04 21:51 von Ma-kun.)
07.04.04 21:48
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Denkbär


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Beitrag #10
RE: Nou, Kabuki und Film
Togashi scheint mir ja in den Theaterstücken eine deutlich stärker akzentuierte Rolle zu spielen. Ich gebe zu, dass mir jetzt - nachdem ich seine starke Bedeutung kenne - den Film im Rückblick ganz anders bewerte. Dieses 'Duell' zwischen ihm und Benkei (inkl. Verlesen der Spendenrolle) habe ich zwar im Film als zentrales Geschehen gesehen, die Bedeutung aber ohne das Hintergrundwissen unterschätzt. Dabei war das ganze so wunderbar aufgebaut mit der Aufstellung der Gegenseiten (wie zur Schlacht) und dem (intellektuellen) Kreuzen der Klingen. Hier stehen sich ja Gleichgestellte gegenüber. Die Motive Togashis bleiben also eher unklar, aber das bietet natürlich mehr Möglichkeit zur Interpretation.

Dass Togashi mit seiner Bemerkung an Benkei auch sich selber meint, hatte ich gar nicht so gesehen, aber natürlich hast du völlig recht. Das hat Kurosawa sehr eindrucksvoll gestaltet, aber eher mit Betonung auf der Reaktion Benkeis. Hier stellt sich natürlich die Frage, ob Togashi nicht die Haltung seines Herrn als unehrenhaft empfindet und (vorausgesetzt, er handelt wissentlich) deshalb die Gefährten entkommen lässt. Wenn ich den Ehrbegriff richtig verstehe, müsste er sich aber dennoch als Verräter an seinem Herrn empfinden und folgerichtig dafür bezahlen. Eine knifflige Situation für den armen Menschen. Hier bleibt aber immer noch die Möglichkeit bestehen, dass er die Situation wirklich falsch einschätzt, aber ich finde die Alternative reizvoller. Die Bemerkung an Benkei drückt dann die Schuld beider aus und Togashi wird somit zu einer Art Spiegelbild oder Doppelgänger Benkeis unter anderen Vorzeichen, wobei Benkei die Verzeihung seines Herrn erhält. Togashi wird da wohl nicht so leicht davonkommen.

Die Intrige kommt in der Filmversion auch sehr deutlich zum Vorschein. Ich hatte den Eindruck, dass der Bruder Yoshitsunes aufgehetzt worden war. Bin schon gespannt auf deine Analyse des Originaltextes. Von dem Ende, das du hier schilderst, wusste ich noch gar nichts. Da endet der Film mit einem hoffnungsvollen Verweisen auf ein Happy Ending und dann das!! Also Tragik im wahrsten Sinne des Wortes. Der Tod der Beteiligten, die man offenbar ja auch als Zuschauer dieser Zeit ins Herz geschlossen hat, verändert die Geschichte dann im Grunde in eine Märtyrerlegende und verändert wiederum die Sichtweise darauf.

Dass der Träger bei den Freunden des Kabuki Anstoß erregt hat, kann ich schon verstehen. (So geht es mir mit dieser Disneyversion vom Glöckner von Notre Dames. Hab ich nicht gesehen und will ich auch nicht. Happy Ending??? Beim Glöckner????? Dabei ist der Schluss im Buch so wundervoll.) Aber Filmversionen oder auch Theaterinterpretationen gewinnen manchmal durch Veränderungen, und ich finde den Träger in Kurosawas Film sehr gelungen. Ich fühle mich definitiv an Shakespeares erinnert und bin sehr gespannt, was du über einen Zusammenhang herausfindest.

Ich bin nun kein Experte in Narrenfiguren Shakespeares, aber ein bisschen kann ich darüber sagen. Narren gibt es bei ihm in verschiedenen Versionen, oft nicht als Narren bezeichnet, aber erkennbar. Hier finde ich Verfilmungen immer sehr schön, und davon gibt es ja sehr viele. Beispielsweise erinnern sich vielleicht manche an den Constable in Much ado about Nothing (Viel Lärm um nichts), gespielt von Michael Keation. Diese Narrenfigur dient in seiner Art schon dazu, dass der Zuschauer lacht, aber trägt eben auch zur Auflösung des Konfliktes erheblich bei. Es gibt Narrenfiguren wie Falstaff (übrigens in England damals so beliebt, dass Shakespeare noch ein Stück mit ihm als Hauptperson schrieb), dessen Leben (und vor allem Tod) ebenfalls eine sehr tragische Komponente besitzt. Die melancholischen Narrenfiguren sind wohl die eindrucksvollsten. Bei Feste aus The Twelfth Night (ich glaube, das heißt im Deutschen Was ihr wollt) bleibt einem dann schon manchmal das Lachen im Halse stecken, vor allem bei der Verfilmung (ich glaube von Ben Kingsley gespielt - bin nicht ganz sicher).
Dann gibt es natürlich noch die Narren, die auch als Narren bezeichnet werden. Der bekannteste dürfte hier der Narr in King Lear sein, der seinen Herrn in seinem Wahn begleitet und eine hohe Bedeutung für das Stück besitzt. Ich sehe da durchaus Gemeinsamkeiten. Der Träger bei Kurosawa hat schon die Funktion, zum Lachen zu bringen, aber er durchschaut auch die Dinge, kommentiert sie und greift helfend ein. Sein Kommentar über den Bruderzwist, den du zitierst, verstärkt die Bedeutung der Rolle. Er wird quasi zum relativ objektiven, aber auch kritischen Kommentator. Das weist schon starke Ähnlichkeiten zu Shakespeares doppelbödigen Narren auf.

Die Sakeepisode hat vielleicht die Funktion, die Spannung aufzulösen????? Das ist auch für mich die Szene, die am meisten irritiert. Da hatte ich deutlich das Gefühl, zu wenig Hintergrundwissen zu haben. Die Trinkfestigkeit und das übertriebene Gelage hatten eindeutig etwas Burleskes. Ich denke übrigens, die Kürzung im Film ist ganz im Sinne des (westlichen) Betrachters.

Danke für das Zitat mit der Schlange. Ich wusste nicht mehr genau, was gesagt wurde, empfand die Metapher aber als sehr eindrucksvoll. Da bin ich auch schon sehr gespannt auf das, was du über die Originalversion herausfindest.
08.04.04 21:08
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