Beitrag #1
Narenai Nihon - Ich gewoehne mich einfach nicht daran!!!
Der Vorschlag, einen Thread dieser Art zu eroeffnen, kam von zongoku und jetzt verwirkliche ich ihn endlich.
Es interessiert bestimmt nicht nur mich, sondern mit Sicherheit zumindest alle, die vorhaben, irgendwann einmal nach Japan zu gehen.
Also eine Frage an alle, die gerade in Japan sind oder frueher einmal dort waren:
Womit hattet ihr so richtig Probleme in Japan? Was war so richtig... iya? Woran konntet ihr euch auch nach Wochen/Monaten nicht gewoehnen?
Bitte jetzt keine Antworten wie "Ich kann machen was ich will ich lerne einfach kein Japanisch", sondern eher so in Richtung... Verhaltensweisen von Japanern, der japanische "way of life", Sonderheiten im Alltag etc..
Ich weiss, es wurde schon tausendmal in verschiedenen Threads angesprochen, aber dieser Thread soll eben speziell auf dieses Thema abzielen.
Nun mach ich mal den Anfang. Womit habe ich hier grosse Probleme?
Geglaubt haette ich es nicht, aber ich habe tatsaechlich Probleme mit dem Verhalten gegenueber Aelteren. Natuerlich habe ich schon in Deutschland gelernt, Aelteren (also ich meine jetzt so alles ab...50) gegenueber hoeflich zu sein, auch wenn sie zur Familie gehoeren, und ich wusste auch, dass Japan noch etwas schaerfer ist als Deutschland, aber... tja, ich muss zugeben, ich habe es unterschaetzt. Nicht nur die Sache mit dem Respekt, sondern allgemein die japanische Hoeflichkeit.
Ein Beispiel: Ich sitze im Wohnzimmer und bin eifrig damit beschaeftigt, Hausaufgaben zu machen, da es schon spaet ist und ich noch viel zu tun haben. Ploetzlich kommt ojiisan herein und moechte ein Gespraech mit mir anfangen.
In Deutschland gibt es normalerweise zwei Moeglichkeiten, darauf zu reagieren (ist zumindest in meiner Familie so).
1) Ich sage ojiisan hoeflich aber bestimmt, dass ich im Moment leider keine Zeit habe, mich mit ihm zu unterhalten und frage ihn, ob wir das Gespraech auf spaeter verschieben koennen.
2) Ich lasse mich zwar auf ein Gespraech ein, gebe aber nur kurze (wenn auch hoefliche) Antworten und signalisiere ihm, dass ich mich auf meine Arbeit konzentrieren muss, in der Hoffnung, dass er erkennt (was in Deutschland dann auch immer der Fall ist), dass ich beschaeftigt bin und von selbst das Gespraech auf spaeter verschiebt.
Methode 2 ist in meiner Familie die beliebtere und ich habe sie deshalb auch in Japan angewandt. Und das war mein Fehler, wie mir spaeter gesagt wurde.
In Japan ist es naemlich so, dass geredet wird wenn ojiisan es will. Wann immer und solange er will. Und wenn man gerade keine Zeit hat? Dann muss man sie sich halt nehmen. Und nix da von wegen kurze Antworten = schnelles Ende des Gespraechs. Ich habe es hier mehrmals mit der "Knapp-Antworten"-Methode versucht, aber ein japanischer ojiisan denkt nun mal nicht darueber nach, ob sein Gegenueber gerade Zeit hat oder nicht. Der Gespraechspartner ist "anwesend", also hat er auch Zeit (zu haben!) und eine ausfuehrliche Diskussion ist genauso moeglich wie ein 5-Minuten-Gespraech. Und waehrend des Gespraechs hat man ein froehliches Gesicht zu machen (!) und ojiisan in die Augen zu gucken (sprich die Arbeit zu unterbrechen).
Das klingt fuer viele jetzt bestimmt wie Kleinkram, aber ich kann nur jeden davor warnen, das zu unterschaetzen! Einmal hat man kein Problem damit, beim zweiten Mal denkt man sich "naja, was soll's", aber auf die Dauer kann das schon ziemlich nerven! Zumal man ja meistens Glueck hat und ojiisan immer dann reden will wenn man am wenigsten Zeit hat...
Natuerlich nicht nur ojiisan, sondern auch obaasan und auch alle aelteren Leute aus der Nachbarschaft.
Und auch das Thema "Laechel-Kultur" sollte man nicht unterschaetzen! (Siehe oben "froehliches Gesicht machen!")
Probiert es doch einfach mal aus, wenn ihr so richtig im Stress seid oder irgendwie veraergert seid, ein froehliches Gesicht zu machen, schoen langsam und ausfuehrlich zu sprechen (und natuerlich hoeflich!) und im Gespraech wirklich nicht das kleinste Signal von "Keine-Zeit-Haben" zu geben! Versucht es ruhig und stellt fest, dass die Deutschen ihrem Gespraechspartner staendig Signale dieser Art geben.
Beispielsweise antworten wir, wenn wir in Eile sind, auf die Frage "Was haben Sie heute Morgen gemacht?" nicht mit "Also, um ungefaehr 6 Uhr bin ich aufgestanden, habe mir dann ganz gemuetlich Fruehstueck gemacht, bin mit dem Hund spazieren gegangen und habe daraufhin ein bisschen Hausarbeit erledigt", sondern mit "Ach, nichts besonderes!". Und waehrend wir das sagen, drehen wir uns schon leicht in Richtung dahin, wo wir schnell hinwollen, naemlich vom Gespraechspartner weg. Auch drehen wir immer wieder den Kopf dorthin und machen Anzeichen, losgehen zu wollen. Wenn es der andere dann immer noch nicht kapiert, gucken wir noch ein paar Mal hektisch auf die Uhr (in Japan uebrigens absolut nicht zu empfehlen!) und... naja, in Deutschland ist es so, dass der Gespraechspartner dann versteht, dass man keine Zeit hat und einen trotzdem nicht fuer unhoeflich haelt (ok, solange man ihm nicht gerade ein "Mann, ick hab keene Zeit!" entgegengeworfen hat...). In Japan braucht man, besonders bei Aelteren oder Ranghoeheren auf Verstaendnis dieser Art gar nicht zu hoffen.
Japan ist weltweit als Land der Hoeflichkeit bekannt, aber da gibt es echt gar nichts zu belaecheln. Denn das bedeutet nicht nur, dass man selbst hoeflich behandelt wird, sondern auch, dass man selbst hoeflich zu sein hat! Ok, wenn man nur ein paar Wochen in Japan ist, kann es einem egal sein, aber wenn man dauerhaft auf die Gunst anderer angewiesen ist...
Wie gesagt, versucht ruhig mal, ein freundliches Gesicht zu machen, wenn euch gar nicht danach ist (viele Gruesse an alle Kaisers-Verkaeuferinnen) oder versucht mal, jemandem, den ihr auf den Tod nicht ausstehen koennt, ueberzeugend (!!!) (ohne sarkastischen Unterton in der Stimme) zu sagen, dass ihr euch auf euer naechstes Treffen freut oder versucht mal (an alle Schueler und Studenten), nach einer Unterrichtsstunde, die grausam daneben war (z.B. weil der Lehrer euch hat 30 Minuten stehen lassen, weil ihr die Hausaufgaben seiner Meinung nach nicht richtig gemacht habt), eurem Lehrer mit freudigem Gesicht und vor Vorfreude auf die naechste Unterrichtsstunde fast platzender Stimme "Danke, dass Sie mich unterrichtet haben!" zu sagen - Willkommen in Japan.
Vielleicht halten das viele nun wirklich fuer eine Kleinigkeit und man muss auch bedenken, die Japaner sind unterschiedlich (mir wurde mittlerweile schon oefters gesagt, dass ich in Sachen Hoeflichkeit eine etwas strenge Familie erwischt habe...), aber wie gesagt, ich kann nur davor warnen, das zu unterschaetzen.
Zumindest ich habe damit immer noch Probleme und ich finde das deutsche System ehrlich gesagt besser. Ich selbst fuehle mich naemlich auch besser, wenn mir z.B. meine Freundin ins Gesicht sagt, dass sie gerade keine Zeit hat, als wenn sie sich wegen mir herumquaelt und mich innerlich am liebsten erschlagen wuerde. Ich finde, die deutsche Art ist freundlicher zu den menschlichen Nerven und ermoeglicht eine bessere Nutzung der kostbaren Zeit (da man flexibler ist).
Natuerlich ist das hier nicht mein einziges Problem in Japan, aber ich denke, es ist die Sache, mit der ich die groessten Schwierigkeiten habe.
Ich hoffe nur, ich habe nicht zu viele gelangweilt und dass es jemanden gibt, dem dieser Thread hier Stoff zum Nachdenken gegeben hat.
Bye
Warai, die Japan uebrigens trotz allem immer noch lieb hat
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