Vor einiger Zeit hatte ich hier von der Edo-zeitliche Interpretation des Iroha im
Sinne des Ehrenkodex der Samurai geschrieben. Dieses "咎無くて死す" war jedoch nicht
der einzige Versuch im Iroha ein "verborgenes Geheimnis" zu entdecken.
Später bedienten sich auch religiöse Bewegungen dieses inzwischen "jahrhunderte-
alten und urjapanischen" Stoffes.
So entwickelten sich mit Beginn des 19.ten Jahrhunderts in Japan zahlreiche sogenannte
"Neue Religionen" (Shinkō shūkyō, 新興宗教, しんこうしゅうきょう), bei denen die
japanischen, religiösen Traditionen und Glaubenvorstellungen oft mit Vorstellungen
und Praktiken aus anderen Religionen vermengt wurde.
Diese allg. als
Synkretismus bezeichnete Verschmelzung voneinander
vollkommen unabhängiger, religiöser Ideen zu neuen Systemen ist dabei
für Japan allerdings schon lange typisch ein Phänomen des religiösen Lebens:
Spätestens seit der Kamakura-Zeit (13. Jahrhundert), kam es zu einer, auch geistig
beinahe totalen
Durchdringung von Buddhismus und Shinto. Die Riten beider
Religionen wurde dabei nicht nur problemlos neben- oder miteinander praktiziert,
sondern die shintoistischen kami von den Buddhisten auch als Manifestationen des
buddhistischen Panthenons betrachtet, wodurch eine Gleichsetzung von
Kami mit den Butsu bzw. Bosatsu (den erleuteten Wesen des Buddhismus) erfolgte.
Neu an einigen der
"Neue Religionen" im 19. Jahrhundert war nun,
das der Shintoismus und Buddhismus auch zunehmend durch
christliche Elemente
und Elemente weiterer Religionen ergänzt oder gar überlagert wurde.
Interessant sind diesem Zusammenhang zB auch zeitgenössische Romane,
wie die Trilogie "Grüner Baum in Flammen" (燃えあがる緑の木) von Kenzaburoo Ooe
(大江健三郎).
Bei der 1892 von
Deguchi Nao (出口ナオ, 1836-1918) und
Deguchi Oonisaburou
(出口王仁三郎, 1871-1948) gegründete
Oomoto-kyou-Sekte(大本教), entwickelte
sich sogar ein
Amalgam aus shintoistischen, buddhistischen, christlichen und
jüdischen Glaubensgrundsätzen und Meditationspraktiken, in Kombination mit einem
sozialpolitischem Idealismus.
Deguchi Oonisaburou
Der Name大本教 leitet sich von大本 = wahre Wurzel, ursprüngliche Quelle und
教 = Religion ab und ein Ziel dieser Sekte ist die Vereinigung der Menschheit zu einem
einzigen Idealstaat, in dem dann auch alle Religionen vereint sind.
Die
Oomoto-kyou-Sekte erwähne ich hier nun, weil Deguchi Oonisaburou
im
Iroha uta einen Träger mystischen Botschaften aus "uralter Vergangenheit"
sah.
Dabei ordnete er die Entstehunges des Gedichts nicht nur - wie viele vor und
nach ihm - fälschlich dem Kuukai (空海) zu ( siehe auch das entsprechende
posting hier im thread), sondern behauptete auch noch, das das dieses Gedicht
Kuukai zusammen mit dem Hiragana-Alphabet von einem Kami eingegeben wurde.
Einer der engsten Gefolgsleute von Deguchi Oonisaburou war interessanterweise,
Ueshiba Morihei (植芝盛平), der Begründer des
Aikido.
Ueshiba Morihei zog 1920 nach dem Tod seines Vaters, eines Oomoto-kyô-Anhängers,
zu Deguchi Oonisaburou nach Ayabe bei Kyoto, wo Deguchi ihn beim Bau und
Unterhalt des Dōjōs unterstützte, aus dem später seine
Aikido-Akademie hervorgehen
sollte. Zunächst wurden nur Oomoto-kyou-Anhänger unterrichtet, später
öffnete sich die Schule.
1924 begleitete Ueshiba Morihei Deguchi Oonisaburou auf eine Reise in die von
Unruhen erschütterte Mongolei, wo sie die oben schon erwähnte neue, religiös
ausgerichtete Weltregierung gründen wollten. Von chinesischen Truppen
verhaftet und schon zum Tode verurteilt, wurde ihre Exekution in letzter
Minute von japanischen Diplomaten verhindert und beide konnten wieder nach
Japan zurückkehren.
...andernfalls würde wohl niemand auf dieser Welt heute Aikido kennen,
geschweige denn praktizieren...
Ueshiba Morihei in seinem Dojo
Doch zurück zu den Pangrammen und zum
Iroha, darin las Deguchi Oonisaburou:
ゑ あ や ら よ ち い
ひ さ ま む た り ろ
も き け う れ ぬ は
せ ゆ ふ ゐ そ る に
す め こ の つ を ほ
__み え お ね わ へ
__..し て く な か と
Neben dem schon bekannten Satz aus den letzen Silben jeder Zeile:
とかなくてしす
den er mit abweichend zur Edo-zeitlichen bushidō-Interpretation [咎無くて死す =
"Ohne Fehler (bzw. Sünden) sterben"] als:
"(Er) starb ohne Sünde"
interpretierte, las er die ersten Silben jeder Zeile von hinten nach vorne:
いちよらやあゑ
man hörte und staune "phonetisch auf hebräisch"! als:
"Als Brandopfer sandte Gott (ihn)" .
Diese Vermischung von japanisch und hebräisch stellte dabei für die Oomoto-kyou-
Anhänger gar kein Problem dar, da die Götter aller Regionen und Religionen für sie
im Kern überall dieselben sind und nur jeweils andere Namen tragen.
Japan
und der Nahen Osten wurden dabei als Kernländer der Götter
betrachtet...
Der Gott der Juden, Yahweh, war dabei für Deguchi Oonisaburou identisch
mit der japanischen Erdgottheit kuni-toko-tachi-no-mikoto 国常立尊
[くにとこたちのみこと], die nach shintoistischem Glauben, aus dem noch
ungeformten Chaos die Erde schuf und schon im kojiki (古事記), den "Aufzeichnung
alter Begebenheiten", von 712 beschrieben wird.
国常立尊 wurde, bis ins Japanische Mittelalter hinein, als erste der sieben Kami-
Generationen formlos und ohne jedes Attribut gedacht, später aber auch
anthropomorph dargestellt:
Als Schusswort sei noch vermerkt, das ô·moto-kyô noch heute aktiv ist und
Deguchi Oonisaburou von seinen Anhängern als Boddhisattva betrachtet wird...
Edit: RS