Zitat:Ich seh auf jeden Fall nicht die Gefah, daß man sein Leben an eine Sache opfert, von der man falsche Vorstellungen hat. Im schlimmste Falle bemerkt man, daß man etwas angefangen hat, von dem man nur die Hälfte versteht
Ups! VORSICHT! Denn diese Gefahr gibt es sehr wohl, wie ich aus eigener (leidvoller) Erfahrung nur zu gut zu berichten weiß. Ich denke, jeder, der sich ernsthaft mit Japan auseinandersetzt, wird den Punkt erleben, an dem er seinen Kulturschock bekommt. Und das ist kein Schlagwort, das ist eine harte, echte, (manchmal grausame) Erfahrung! Japan ist ein "Land, das Zuneigung und Entsetzen gleichermaßen zu wecken geneigt ist". Und das ist wahr! Ich habe auch lange Japanisch gelernt und stehe seit wenigen Monaten vor einer ernsten Krise, ob ich mein Studium wirklich fortsetzen sollte.
Japan ist keineswegs ein "exotisches" Land, es ist sehr real. Und es hat sehr, sehr wohl dunkle Seiten, mit denen man als Westler, als Europäer und vielleicht besonders als Deutscher echt zu kämpfen haben wird. (In diesem Zusammenhang sehr zu empfehlen: Irmela Hijiya-Kirschnereit: Das Ende der Exotik. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1988.)
Ich bin gerade dabei, meinen Kulturschock zu verarbeiten (und hoffe, daß ich es schaffe). Es ist wirklich ein Schock mit allen Symptomen: Herzrasen, Schlaflosigkeit, Desorientierung, Angst. Meine "Krise" begann mit der Wahrnehmung von der Vergangenheitsbewältigung (bzw. deren Fehlen) im Denken vieler Japaner (zu empfehlen: Ian Buruma: Erbschaft der Schuld), setzte sich fort über die Normalität des sexual harassments im Alltagsleben, über die Un-Emanzipation der Frauen (die das in der Mehrzahl auch gar nicht ändern wollen), über den Einstieg in die omnipräsente Nihonjinron-Literatur (= Aufsätze von Japanern darüber, was es heißt "Japaner" zu sein, bzw. über die Frage, was Japaner vom Rest der Welt unterscheidet; z. T. wirklich einfach purer Rassismus im wörtlichen Wortsinn; schon für das japanische Volk wird regelmäßig der Terminus "die japanische Rasse" verwendet), über die Todesstrafe, über die beschlossene Einführung des Jury-Systems in der Justiz, über die Einführung von Noten für "Japanisches Verhalten" an den Schulen (man denke nur an z. B. koreanisch-stämmige Mitschüler, die natürlich auch diese Noten bekommen), über die Entlassung von Lehrern, weil sie sich weigern, die sog. Nationalhymne abzusingen bzw. beim Hissen der sog. Nationalflagge aufzustehen etc. etc.
Ich muß sagen, ich kämpfe immer noch mit dieser Krise. Ich versuche im Moment etwas weniger über die meisten der genannten (und einige andere) Themen nachzudenken, weil sich mir bei manchen von ihnen physisch das Herz zusammenkrampft. Ich hoffe, daß es sich nochmal ändert, aber im Moment habe ich (und keineswegs nur ich) sehr den Eindruck, daß sich in Japan einige Verhältnisse spiegeln, die uns - Gottseidank zum größten Teil aus der Geschichte und nicht mehr aus der Gegenwart - nur zu vertraut sind.
Ich hoffe, wie gesagt, daß sich mein Bild noch ändert, denn wenn ich weiterhin Angst vor Japan haben sollte, hätte ich doch eher etwas anderes lernen sollen. - Und ich habe, als ich damit begonnen habe, nicht im Traum daran gedacht, daß ich SOWAS mal erleben würde. Deswegen: Vertut Euch nicht!