RE: "Die Ballade von Narayama" am 19.05. um 22.40 auf Arte (OmU)
Nun will ich mich doch noch einmal zu Wort melden, da hier so oft von "Interpretation" gesprochen wurde. Auch wenn ich keiner dieser "Cineasten" bin, die sich vorzugsweise in weiße Schals kleiden und heftige Diskussionen im Vergleich von Fellini und Oswalt Kolle führen, habe ich mir dennoch Gedanken gemacht, wie der Film "Narayama bushikô" denn interpretiert werden könnte.
Vor allem ist mir in vielen der bisher geäußerten Meinungen eine sogenannte "Flachheit" der Protagonisten aufgefallen; eine Aussage, der ich mich nur bedingt anschließen kann. Ich behaupte immer noch, daß wie einen Film wie den von Narayama nicht ohne weiteres mit beispielsweise Shakespeare-Verfilmungen vergleichen dürfen, obwohl beide gleichermaßen dramatisch sind. Doch während sich im letzteren Fall der Konflikt und damit das Drama gewissermaßen ZWISCHEN DEN MENSCHEN abspielt, sehe ich die Spannung in "Narayama bushikô" im Wechselspiel zwischen Natur und Mensch.
Wir sind es vielleicht gewohnt, das Individuum zu betrachten, das SEINEN persönlichen Kampf gegen seine Umgebung austrägt und sich auf diese Weise profiliert. In unserem Beispielfilm sehe ich die Aussage dagegen dahingehend, daß der EINZELNE verloren ist, solange er ohne seine Gemeinschaft agieren muß; ebenso ist die Gemeinschaft auf jedes ihrer Mitglieder angewiesen, um ihren Kampf gegen die Umwelt bestehen zu können. Damit ist für eine "Profilierung" der Individuen, wie wir sie uns vielleicht wünschen mögen, wesentlich weniger Raum als wir selbst aus unserem Umfeld gewohnt sind.
Daher stelle ich mal die Meinung in den Raum, daß diese "Flachheit" der Personen (was immer man darunter verstehen mag) ein hervorragend gewähltes Stilmittel ist, um die relative Nutzlosigkeit eines Einzelnen, möge er auch über noch soviel "Tiefgang" verfügen, darzustellen.
Darüber hinaus wage ich zu behaupten, daß die Haupt"figur" des Films keineswegs "flach" gezeichnet wurde: dabei handelt es sich für mich um das LEBEN an sich mit seinem Kreislauf, der mit der Geburt beginnt und mit dem Tod endet, um damit die Basis für einen neuen Zyklus zu legen. Der Tod gehört nun einmal zum Leben dazu, bei uns ebenso wie in dem Bergdorf in Shinshû. Doch während wir ihn gut und gern verdrängen können, ist der Tod im Film eine alltägliche Realität. Der Spagat zwischen Leben und Tod bestimmt hier das Spannungselement, das meines Erachtens in keiner Weise auch nur ansatzweise als "flach" zu bezeichnen wäre. Die Darstellung des "Lebenskreislaufs" als dem allesübergreifenden "Hauptaktuer" ist für mich auf einfach geniale Weise umgesetzt, denken wir nur an die Bilder von Zeugung, Geburt und Vergehen, sowohl beim Menschen als auch beim Tier.
Die Art und Weise, wie der Mensch in einer solch lebensfeindlichen Umwelt über Generationen hinweg leben kann, mag in unseren Augen primitiv erscheinen, doch der alte Slogan vom "Macht euch die Erde untertan!" ist in einer derartigen Umgebung sicher überaus unangebracht, auch Öko-Parolen wie "im Einklang mit der Natur" leben, haben hier einen seltsamen Beigeschmack. In meinen Augen tobt hier immer noch der uralte, alltägliche Kampf des Menschen gegen die Natur. Das, was ihn darin vom Tier unterscheidet, ist die Fähigkeit, trotz widrigster Umstände nicht nur einfach zu "leben", sondern auch eine Kultur und Zivilisation aufzubauen, und so sehr sich deren Regeln (wie auch der Gang in den Berg) von denen unseres Lebens auch unterscheiden mögen, tragen sie dennoch dazu bei, das WICHTIGSTE zu erhalten, und das ist hier nicht der einzelne Mensch, sondern das Leben der gesamten Gemeinschaft/Population in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Ob das irgendetwas mit "japanischen Tugenden" (@Christof) zu tun hat, wage ich zu bezweifeln, ehrlich gesagt, stößt mir bei solchen Äußerungen immer mein letztes Sushi unangenehm auf (schon mal was von nihonjin-ron gehört?), daher meine Frage: was, wenn Novelle und Film NICHT in Japan gespielt hätten? Ist es denn so undenkbar, daß ähnliches sich nicht auch (hypothetisch gesprochen!) z.B. in den Wüsten Afrikas oder sogar in einem abgelegenen Bergdorf in den Schweizer Alpen abgespielt haben könnte? Ist der Kampf Mensch vs. Natur nicht überall gleich, so wir denn gezwungen(!) sind, ihn täglich auszutragen, und das auf Kosten unserer eigenen Individualitärt und unseres "Tiefgangs"?
Soviel als Interpretation für heute...
gokiburi, dem es jetzt peinlich wäre, für einen Philosophiestudenten gehalten zu werden...
♪♪あぁ蝶になる、あぁ花になる、
恋した夜はあなたしだいなの、♪♪
あぁ今夜だけ、あぁ今夜だけ、
もうどうにもとまらない!!! ♪♪ 山本リンダ
|