Heute geht es um die japanische Schriftreform.
Wie wir alle wissen und es (hoffentlich) auch mögen, benutzt man im Japanischen Kanji, Hiragana und Katakana in einem bunten Mischmasch. Diese Schreibweise ist natürlich nicht vom Himmel gefallen, sondern hat sich über die Zeit ergeben. Ich mache jetzt mal einen Zeitsprung von den Anfängen mit der Importierung der chinesischen Schriftsprache zur Mitte/Ende des 19. Jhds.
Der Stand im 19. Jhd. war, dass japanische Bücher im ganzen vorgeschrieben und dann gedruckt wurden (Blockdruck),
nicht mit beweglichen Lettern wie es in Europa der Fall war. Eine kursive Schrift, letztendlich die Handschrift des Kalligraphen, war dadurch das Buch. Dadurch gab es Unmengen an verschiedenen Varianten der einzelnen Zeichen, nicht nur für die Kanji, sondern auch für die Kana. Diese wurden Hentaigana genannt, und sahen ca. so aus:
Ein anders Hentaigana für den gleichen Laut sah z.B. so ausgesehen haben: か.
Was unterscheidet die beiden jetzt? Das eine wurde standardisiert, das andere nicht
Das bedeutet, die Hiragana die wir heutzutage benutzen, sind einfach nur die „Sieger“ aus einer Schriftreform aus dem Jahr 1900. Genauso gut hätten auch die anderen Hentaigana gewinnen können (btw, ab Unicode 10 sind viele Hentaigana auch in Unicode kodiert) und wir würden heutzutage か als merkwürdiges Zeichen sehen. Da die vorher natürlich nicht standardisiert waren, kann man sie auch schlecht abzählen oder schlecht eine genaue Schreibweise angeben.
Auch in der späten Edo- und frühen Meiji-Zeit wurde der Buchdruck auf bewegliche Lettern umgestellt. Das war natürlich auch sehr einschneidend. Stellt euch vor, man würde jetzt im Arabischen alle Buchstaben einzeln getrennt voneinander schreiben - die meisten Leser würden das wahrscheinlich nicht gerade schön finden. So war es sicherlich auch damals - die verschiedenen Schreibweisen der Kanji wurden deutlich reduziert (auch wenn es immer noch für jedes Zeichen mehrere Varianten gab), da man eben nicht mehr flexibel im Text die einzelnen Zeichen verbinden konnte und die Lettern schon vorgegeben waren.
Wer sich einmal allerdings Texte vom Anfang des 20. Jahrhunderts anschaut, wird sehen, dass trotzdem wie Kraut und Rüben geschrieben wurden. Man hat z.B. statt Hiragana Katakana geschrieben (offizielle Dokumente, Schulbücher usw) und es gab verschiedenste Varianten für jedes Kanji. Auch einzelne Wörter wurden anders geschrieben. 午後 konnte z.B. auch 午后 geschrieben werden, 島 oder 嶋 (vieles davon hat sich noch in Eigennamen erhalten) und ähnliches. Damals war es noch eine schöne Tugend, so kompliziert und mit so vielen Kanji wie möglich zu schreiben - sehr vorbildlich
Man hat auch grammatikalische „Wörter“, die man heutzutage nur in Hiragana schreibt, in Kanji geschrieben: …に於いて o.ä. Das ging alles mit der damaligen Schriftsprache einher, die auch sehr kompliziert war.
WIe schon gesagt, gab es verschiedene Varianten von einzelnen Zeichen. Das klassische Zeichen für Land war 國, aber eigentlich auch 国. Es gab auch z.B. 圀. Es hat sich zwar irgendwie durchgesetzt, dass allgemein 國 benutzt wurde, aber eigentlich war 国 auch nicht falsch. Genauso gut hat man gerne in der Handschrift Zeichen abgekürzt. 讀 hat man gerne auch als 読 geschrieben, was aber (wahrscheinlich) nicht im Druck angekommen ist.
Im Jahr 1946 kam man dann auf die Idee, dass man eine Liste von gebräuchlichen Zeichen für den Schulunterricht erstellen sollte, die sogenannten 当用漢字. In dieser Liste wurde für jedes Zeichen eine Variante fest ausgewählt (kennt man von irgendwoher schon), es wurden aber auch frühere handschriftliche Formen zum Standard erhoben, z.B. 楽. Diese Liste umfasste 1850 Zeichen. Aber natürlich gab es immer noch mehr Zeichen als 1850, eben für seltenere Wörter oder einfach für Wörter, die das Unglück hatten, dass das Zeichen, mit dem es geschrieben wurde, nicht in die Liste gehörte.
Jetzt wird es interessant: Die Liste verbot nicht, die Zeichen zu nutzen (außer im Schulunterricht und in der Zeitung). Konservativ wie Typographen dabei sind, haben sie auch nur die Zeichen aus der Liste angefasst, nicht aber für alle Zeichen die nicht in der Liste waren. Das führte dazu, dass z.B. Zeichen wie 絆 im rechten Teil
nicht 半 geschrieben worden, sondern mit einem ハ. Selbst Radikale waren dann anders: In 道 ist nur ein Punkt auf dem Shinnyō-Kanji, bei 遜 aber trotzdem zwei.
Interessant auch: Einige Wörter haben dadurch ein anderes Kanji erhalten. Kansū (mathematische Funktion) hat man ursprünglich mit 函数 geschrieben, aber da es nicht in der Liste enthalten war, hat man einfach das gleichlautende 関数 genommen (函 nutzt man aber immer noch für 函館 auf Hokkaido). Ähnlich auch 台風: Eigentlich schrieb man das 颱風. 颱 wurde
nicht zu 台 vereinfacht (im Chinesischen schon), aber das Zeichen wurde einfach nicht mehr genutzt, weil es nicht in der Liste enthalten war.
Im Jahr 1981 kamen dann die Jōyō-Kanji, die nun 1945 umfassen (juhu, mehr Kanji) und tatsächlich wieder neue Zeichen vereinfachten, bzw. dadurch auch die Radikale umgestellt wurden (z.B. musste 龍 dran glauben und 竜 wurde eingeführt).
Interessanterweise hat das für viele Namen immer noch nicht gereicht, weswegen es die Liste der 人名用漢字 gab. Das waren die erlaubten Namen, die man Kindern geben kann - aber in dieser Liste waren eben auch ganz normale Zeichen, die normalerweise für Wörter verwendet wurden.
2010 gab es dann die letzte Erweiterung, so dass wir jetzt bei 2136 Zeichen sind.
Für alles übernehme ich keine Garantie, da ich mein Wissen aus dem Kopf niedergeschrieben habe. Auf Wikipedia gibt es auch noch den Artikel
Japanese Script Reform.