Zitat: Wem das jetzt zu trivial war, der möge konkrete Probleme bei der Übersetzungsarbeit schildern.
-sich in die Hände spuckt-
(04.12.06 22:03)Seyanen schrieb:Sich besser mit dem Inhalt auskennen, als der Autor des Ausgangstextes.
Heißt das, wenn ich einen Text von Hawkings übersetze sollte ich mich besser in Physik auskennen als er?
Und wie könnte dies bei einem literarischen Text aussehen?
Zitat: Versuchen dem Leser das 'Gefühl' zu vermittlen, welches der Muttersprachler bei der Lektüre des Ausgangstextes hat.
Nehmen wir mal an, ich schreibe eine Geschichte darüber, wie ich als Jungpionier vom SERO-Altstoffehändler beschissen wurde und deshalb Anschnauze vom Gruppenratsvorsitzenden bekommen habe, weil ich offensichtlich nicht fleißig genug beim Altstoffesammeln war.
Welches Gefühl hat jetzt "der Muttersprachler" wenn er das liest? Ein "bundesdeutscher" Muttersprachler hat hier ein ganz anderes Gefühl als ein "deutsch-demokratischer". Von Österreichern und Schweizern mal ganz abgesehen. Welches von den sicherlich sehr unterschiedlichen Gefühlen versucht man jetzt in seiner Übersetzung zu vermitteln? Ist doch klar, werden jetzt einige sagen, natürlich das des DDR-Bürgers. Aber was ist denn das Gefühl des Ex-DDR-Bürgers, wenn er vom "Altstoffesammeln" liest? Einige werden sich an lustige Nachmittage mit ihren Freunden erinnert fühlen, während andere wiederum die Schlepperei bei den Sammelaktionen total ätzend fanden.
Und wie vermittelt man das Ganze einem Japaner, der mit Deutschland gerade mal Bretzeln und Schloss Neuschwanstein verbindet, ohne dauernd den Lesefluss störende Anmerkungen zu machen? Knifflig, Knifflig...
Und das Hauptproblem dabei kommt erst noch (besonders wenn mein Verleger hauptsächlich finanzielle Interessen hat): Selbst wenn es mir gelänge eines dieser "Gefühle eines Muttersprachlers" dem japanischen Publikum zu vermitteln, ist dieses dann auch für ihn interessant zu lesen? Oder sollte man nicht besser von vornherein diesem (im Grunde ja nicht verkehrten) Gedanken einer Vermittlung des Muttersprachlergefühls aufgeben und die ganze Geschichte "japanisieren", d.h. die Geschichte so umschreiben, dass sie auch hätte in Japan spielen können?
Man weiß es nicht (zumindest ich nicht), aber man sieht, das Übersetzen eines Textes geht oft weit über das bloße Übertragen des Inhaltes hinaus (und das ist manchmal schon schwer genug).
Zitat: solche Texte, bei denen die Sätze über eine halbe Seite reichen.
Zitat: Worauf schaut z.B. der Übersetzer zuerst?
Hilfreich ist es, sich erstmal klar zumachen was das Thema des Satzes ist und was das Prädikat dazu, quasi das "Gerüst" des Satzes herauszufinden.
Ich versuche es mal anhand eines Beispielsatzes aus einem Übersetzungskurs, den ich mal besucht hatte:
こうした状況の下にあって、十八世紀後半以降、田沼時代の「重商主義」的な政策の中で、経済の
成長、商工業の
発展はなお
顕著であり、
bis hierhin erstmal
Wer macht hier also was? Wir haben einmal 成長 (Wachstum)und 発展 (Entwicklung) welche beide 顕著であり (deutlich, offensichtlich)"sind". Also das Wachstum und die Entwicklung von irgendwas tritt deutlich zu Tage. Alles weitere im Satz sind Ergänzungen zu dieser Aussage und man erfährt, wessen Wachstum und Entwicklung sich hervortut, wann und wodurch. Der erste Teil bis zum Komma nimmt Bezug auf Ausführungen, die weiter vorne im Text gemacht worden sind. Hat man sich das alles erstmal klar gemacht, sollte die Übersetzung nicht mehr allzu kompliziert sein.
Weiter gehts:
。。。、酒造
業、綿織
物業、絹織
物業等の一部
には多くの奉公人を雇用した工場制
手工業も
あらわれ、
大都市には厖大な
人口が流入し、都市そのもの、あるいは都市的な村の
百姓・水呑(前述したような都市民としての無高民)
の中にも、食糧をもっぱら購入する
人びとが非常に広範に
あらわれてきた。
Sieht furchterregend aus, ist aber gar nicht so schlimm, wenn wir ihn uns zerlegen, hier nehmen uns dankenswerterweise die Kommata und die davorstehenden Verbformen die Arbeit ab. Dann schauen wieder nach dem Thema in den jeweiligen Teilsätzen und was das Thema jeweils so anstellt. Wir sehen also bei den einzelnen Gewerben(業) gibt es ein Handwerk (手工業)welches in Erscheinung tritt (あらわれ)、in den großen Städten (大都市) gibt es Leute die hineinströmen(人口が流入し), und unter den Bauern (百姓) gibt es Menschen (人びと) die erschienen (あらわれてきた). Alles weitere sind wieder Ergänzungen dazu und nachdem man die unbekannten Vokabeln nachgeschlagen hat, kann man sich anhand des Gerüstes, welches wir uns gebaut haben, an eine Übersetzung des Satzes wagen.