Wie vielleicht der ein oder andere bemerkt hat, war ich gerade ein Jahr in Peking. Dort habe ich unter anderem an dem Japanischunterricht der Qinghua-Universität teilgenommen. Da es eine wirklich beeindruckende Erfahrung war, möchte ich versuchen, ein bißchen etwas über die Methoden dort zu erzählen:
Ich ging damals mit einem Zug von Selbstüberschätzung in die erste Stunde der seit zwei Jahren lernenden Chinesen. Da erwartete mich die größte Überraschung meines Lebens in Peking: Die Schüler sprachen Japanisch. Aber nicht irgendwie; sie sprachen zum großen Teil akzentfrei und vor allem grammatisch korrekt. Das war nicht nur mein Eindruck - ein japanischer Gasthörer war an diesem Tag auch dabei und ging die ganze Zeit davon aus, daß es sich bei einem Teil der Teilnehmer um Japaner handele. Es war ein schwarzer Tag für mein Selbstbewußtsein.
Noch schwärzer sah es aus, als ich am Dienstag zum Unterricht derer ging, die ein Jahr Japanisch hinter sich hatten. Die Studenten dort sprechen nach dieser Zeit besseres Japanisch, als die meisten unserer Studenten nach Abschluß ihres Studiums.
Nun gibt es natürlich einige gute Gründe, die man sich einfallen lassen kann, warum die Studenten so gut sind. Der wichtigste ist wohl, daß Chinesen japanisches Vokabular viel schneller lernen, weil sie einen Großteil davon aus ihrer eigenen Sprache kennen. Aber das erklärte noch lange nicht dieses Können.
Bevor ich nach China kam, war ich der festen Überzeugung, daß es die perfekte Lernmethode nicht gäbe und jeder seinen eigenen Weg finden müsse, aber anscheinend ist dem nicht nur so. Ich habe ein Semester kontinuierlich am Unterricht teilgenommen und mich auch längere Zeit mit Herrn Oikawa unterhalten. Das Ergebnis ist so simpel wie erstaunlich, es lautet: Auswendiglernen.
Nun ist das nicht gerade das beliebteste Hobby in Deutschland. Ich selbst habe es nur gemacht, wenn ich gezwungen wurde und dann auch nur soweit, daß ich es gerade noch während des Aufsagens im Gedächtnis behalten habe. Die Schüler hier lernen aber nicht (nur) für Aufführungen auswendig, sie lernen für sich selbst auswendig, und zwar Lehrbuchtexte, Dialoge, selbst geschriebene Vorträge, Floskeln. Vor dem Unterricht, in den Pausen und nach dem Unterricht sieht man sie in den Gängen, Klassenzimmern, auf den Plätzen und Gartenanlagen und abends sogar im Wohnheim von Herrn Oikawa Texte mit lauter Stimme, ausdrucksstark und mit richtiger Akzentsetzung und natürlicher Betonung rezitieren.
Es ist wirklich keine Übertreibung: Die Studenten, die seit zwei Monaten auf diese Weise gelernt haben, sprechen besser als die FU-Studenten nach einem Jahr. Damit ihr wißt, daß ich nicht übertreibe: Hier sind zwei Videos aus dem Unterricht, einmal von einem, der
ein Jahr gelernt hat und einer, die seit
zwei Jahren lernt. (Am Anfang verheddert sie sich ganz kurz, aber danach ist es so gut wie perfekt. Sie hatte nur 1 Woche Vorbereitungszeit.) Es handelt sich dabei nicht um Aufnahmen der besten der Schüler dort, sondern um Videos, bei deren Aufzeichnung ich dabei war.