Beitrag #4
RE: sollen
Das Modalverb sollen ist wohl eines der am schwierigsten zu erlernenden im Deutschen, da es mindestens 7 verschiedene Bedeutungen gibt:
1)Auftrag
2)Empfehlung, Ratschlag
3)Indirekte Aufforderung
4)Zitat „ohne Gewähr”
5)Eventualität
6)Annahme, Vermutung
7)Zukunft in der Vergangenheit
1) Auftrag
Das Modalverb sollen drückt einen Auftrag an das Subjekt aus:
Ich soll den Müll noch rausbringen. = Ich habe den Auftrag, den Müll rauszubringen.
Die Kinder sollten im Haus bleiben. = Die Kinder hatten den Auftrag, im Haus zu bleiben.
Der „Auftraggeber” ist meist eine Person oder eine Instanz. Die Instanz kann zum Beispiel auch ein Gesetz sein.
Wenn die Bedeutung "Auftrag" ist, kann man den Satz mit sollen in einen Satz mit wollen umformen, wobei der Auftraggeber als Subjekt von wollen genannt wird:
Die Eltern wollten, dass die Kinder im Haus bleiben.
In der Bedeutung "Auftrag" ist sollen eng verwandt mit dem müssen, das "Notwendigkeit" ausdrückt. Da ein Auftrag eine Notwendigkeit im weiteren Sinne ist, kann sollen hier durch müssen ersetzt werden:
Ich soll den Müll noch rausbringen. = Ich muss den Müll noch rausbringen.
Wenn müssen gewählt wird, ist aber nicht deutlich, dass es sich um einen Auftrag handelt, denn müssen drückt diesen Aspekt nicht aus. Wenn der Aspekt "Auftrag" für die Aussage wichtig ist, muss er durch den Kontext ausgedrückt werden:
Die Kinder müssen im Haus bleiben, weil die Eltern es ihnen befohlen haben.
Umgekehrt kann sollen nur dann müssen ersetzen, wenn es sich um einen Auftrag handelt:
Die Kinder müssen im Haus bleiben,
a) weil es draußen keinen Platz zum Spielen gibt.
b) weil die Eltern es ihnen befohlen haben.
Nur wenn müssen b) ausdrückt, kann es durch sollen ersetzt werden.
2) Empfehlung, Rat
Wenn sollen im Konjunktiv II Präteritum steht, kann der Auftrag zu einer Empfehlung oder einem Ratschlag werden:
Du solltest den Müll rausbringen, bevor er anfängt zu stinken. = Ich empfehle dir, den Müll rauszubringen, bevor er anfängt zu stinken.
Die Kinder sollten im Haus bleiben, wenn es regnet. = Es ist / wäre besser, wenn die Kinder im Haus bleiben, wenn es regnet.
Eine ähnliche Funktion hat sollen in Fragesätzen. Man fragt um einen Ratschlag bezüglich einer Entscheidung:
Sollen wir hier auf euch warten?
sollen steht in solchen Fragen meistens in der ersten Person (ich, wir) und im Indikativ.
3) Indirekte Aufforderung
sollen wird auch für indirekte Aufforderungen und Aufträge verwendet:
Direkte Aufforderung Indirekte Aufforderung
Sie sagt: „Bring den Müll noch raus!” = Sie sagt, ich solle den Müll noch rausbringen.
Er verlangt: „Gib mir das Geld zurück!” = Er verlangt, sein Freund solle ihm das Geld zurückgeben.
4) Zitat „ohne Gewähr”
sollen wird auch in der indirekten Rede verwendet. Wie die indirekte Rede gibt es an, dass die Aussage eines anderen zitiert wird. Zusätzlich drückt sollen aus, dass der Sprecher / Schreiber nicht weiß, ob die zitierte Aussage wahr ist:
Gemäß der Aussage eines Zeugen soll das Auto viel zu schnell gefahren sein.
Ich habe gehört, dass er jetzt irgendwo im Ausland leben soll / solle.
5) Eventualität (für den Fall, dass)
sollen verstärkt die Bedeutung "Eventualität" und "Bedingung" in:
- Bedingungssätzen (Konditionalsätzen), die mit wenn, falls, für den Fall dass eingeleitet werden.
- Einräumungssätzen (Konzessivsätzen), die mit selbst wenn, auch wenn, und wenn eingeleitet werden.
sollen steht dabei immer im Konjunktiv II Präteritum:
Falls / wenn ihr den letzten Zug verpassen solltet, müsst ihr ein Taxi nehmen.
Auch wenn er sich entschuldigen sollte, werde ich ihm das nie verzeihen.
6) Vermutung, Annahme
Im Konjunktiv II kann sollen auch eine Annahme oder eine starke Vermutung ausdrücken:
Wir sollten eigentlich bald in Köln ankommen. = Es ist anzunehmen, dass wir bald in Köln ankommen.
dürfen und müssen haben eine ähnliche Bedeutung.
7) Zukunft in der Vergangenheit
In Erzählungen drückt sollen manchmal Nachzeitigkeit in Bezug auf etwas Vergangenes aus (Zukunft in der Vergangenheit). Der mit sollen stehende Sachverhalt ist vergangen, war aber zu einem gewissen anderen vergangen Zeitpunkt zukünftig:
Er nahm auf niemand Rücksicht. Das sollte er noch bereuen.
sollen steht hier immer im Präteritum.
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