Vielleicht ist es ganz interessant, hier mal ein paar Waka zum Thema
Herbst/Winter zusammenzutragen, zu übersetzen und zu interpretieren.
So werfe ich hier mal ein, zum jetzigen Winter - kein Schnee, viel Sturm -
passendes Waka von
Reizei Tamemasa 冷泉為尹 (1361 - 1417) in
den Ring.
Der Sprachepoche nach also im Übergang vom Frühen Mitteljapanisch
zum Hoch-Mitteljapanisch.
Vielleicht hat der eine oder andere ja Lust weitere Gedicht zu übersetzen und
hier hereinzustellen.
..... oder meine Übersetzung/Interpretation kritisch zu kommentieren.
Nun also das Gedicht:
やまびとの あとにあらしや おくるらむ
このはみだるる たにのかけはし
yamabito no/ ato ni arashiya/ okururama
ko no ha midaruru/ tani no kakehashi
zu besseren Lesbarkeit dann auch noch mal mit Kanji versehen:
山人の 後にあらしや 送るらむ
木の葉乱るる 谷の架け橋
Der dem Holzfäller folgende Sturmwind, wird ihn wohl (auch weiter) begleiten -
auf der Hängebrücke im Tal wirbelt er das Laub durcheinander.
Das vermutlich dahinter gedachte Bild:
Dem (vorbei ziehenden) Holzfäller bläst der Sturmwind kräftig hinterher -
und der Sturm wird ihn wohl auch noch (auf seinem weiteren Weg) begleiten;
auf der Hängebrücke im Tal wirbelt er (hinter ihm) das Laub durcheinander.
Die Form ist, wie beim waka nicht anders zu erwarten:
5 - 7 - 5 - 7 - 7.
山人の kann im Prinzip alle in den Bergen oder im Wald wohnenden
und/oder arbeiteten Menschen meinen. Der "Holzfäller" könnte
also auch Einsiedler, Jäger, Köhler, Waldarbeiter, Wandermönch etc. sein..
Das die Jahreszeit andeutendes Wort, das
Ki·go (季語) ist
木の葉 (このは)
ko-no-ha, das
Laub der Bäume, wie es hier vom Wind hin- und hergewirbelt
wird.
(Verwandte Ki·go sind ua. auch: 木の葉散る (このはちる) ko-no-ha chiru, das
fallende Laub und 木の葉髪 (このはがみ), ko-no-ha-gami, das vom Wind
herumgewehte, sich in den Haaren verfangene Laub, als Zeichen des
frühen Winters. Ein schönes Bild das früher auch symbolisch für den 10.
lunaren Monats stand.)
らむ steht meist bei wohl begründeten Vermutungen und modifiziert die
Aussage des Verbes entsprechend ("Dubitativ"). Es kann aber nach Rickmeyer
auch Fragen markieren. Evt. also auch:
..wird ihn der Sturmwind (weiter auf seinem Weg) begleiten ? ..
Die Partikel
や hier wohl appellativ, oft mit einer gewissen Wehmut oder
Klage, - zudem den Gegenstand der Vermutung markierend?
Beliebt und hoch angesehen war die
Allusion, das geschickte Adaptieren
von Form, Lautmelodie und/oder Inhalt berühmter Gedichte.
Auch Reizei Tamemasa verwendte hier mit 谷の架け橋 - der Hängebrücke
im Tal - ein solches Motiv.
So findet sich 谷の架け橋 schon in der berühmten 5. kaiserlichen Gedichtsammlung
Kin'yō Wakashū 金葉集初度本 (きんようしゅう_しょどぼん), der "Sammlung
der Goldenen Blätter, und zwar in einem Gedicht von
Fujiwara no
Akisue (1055-1123):
をくらやま みねのあらしの ふくからに
たにのかけはし もみちしにけり
Ogurayama/ mine no arashi no/ fuku kara ni/
tani no kakehashi/ momoji shinikeri
mit Kanji und Diakritika versehen:
をぐら山 峰のあらしの 吹くからに
谷の架け橋 黄葉しにけり
Am Ogura-Berg fegt vom Gipfel ein Sturm herunter, der so stark ist,
das die Hängebrücke im Tal ganz buntes Herbstlaub ist.
Im Gegensatz zum ersten Gedicht handelt es sich hier aber um ein Herbstgedicht;
das Ki·go (季語) ist hier 黄葉, das bunte Herbstlaub.
Die Technik der Allusion wurde und wird im Japanischen übrigens als
honkadori
(本歌取り) bezeichnet.
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