Falls folgender Text zu den ältesten Geschichtsschreibungen Japans, dem Kojiki und dem Nihonshoki, euch irgendwie bekannt vorkommt, mag das einerseits ein Deja-vu sein, viel eher glaube ich aber, daß ihr ihn schon einmal hier gelesen habt:
Koori´s japanische Top 200 Bücherliste
Das Doppelposting sei mir -zumindest vorübergehend- gestattet als Auftakt für eine kleine Unterhaltung über die verschiedensten Seiten und Aspekte des Shintô, zu der Koorineko mich ermuntert hat.
...Interessant an der Niederschrift der beiden Geschichtswerke Kojiki und Nihonshoki ist, daß sie auf Initiative des Kaisers Temmu zum Zweck der Machtsicherung des Yamato-Hauses über Generationen hinweg angefertigt wurden. Bis dahin herrschte auch in Japan die Vorstellung des wechselhaften "Mandats des Himmels" nach chinesischem Vorbild, ebenso kam es zuweilen durchaus zu Dynastiewechseln in Japan, das Ideal der seit ewigen Zeiten ununterbrochenen Kaiserlinie ist also eine Legende.
Ein weiterer Grund (für die Verfassung des Nihonshoki) lag in dem Anliegen, die Stellung des japanischen Herrscherhauses in den Augen Chinas zu behaupten, indem man einen Mythos schuf, der dem chinesischen zumindest gleichkommt. Aus diesem Grund ist das Nihonshoki auch in
reinem Chinesisch verfaßt, während die Kompilatoren des Kojiki dieses in
modifiziertem Kanbun-Chinesisch schrieben, nicht ganz so gut geeignet zum "Eindruck schinden" beim großen Nachbarn.
In vielen Details unterscheiden sich Kojiki und Nihonshoki daher deutlich, der "lebendigere" und deutliche, teilweise ans "Vulgäre" grenzende Stil des ersteren wich dem gehobeneren Ausdruck des letzteren.
Bemerkenswert finde ich, wie "unverfroren" teilweise mit den eigenen Göttern umgegangen wurde, um sie dem Zweck der Werke anzupassen. Das zeigt sich beispielsweise in der Art und Weise, wie die "Götterpantheone" der Häuser von Yamato und Izumo in Kojiki und Nihongi (unter der Dominanz der Yamato, versteht sich) zusammengefaßt wurden.
So wird der Izumo-Gott
Susa-no-O dargestellt als ein "ganz ein Schlimmer", der sich nach seinem Rauswurf aus den Götterkreisen plötzlich und unvermittelt zum Wohltäter der Menschen wandelt.
Auch die Triade der Schöpfungsgötter
Takami-musubi,
Kami-musubi und
Ame-no-Minakanushi-no-kami, aus deren Existenz und Lebenskraft die Welt mitsamt all ihren
kami ursprünglich entstanden ist, belegt diese Verschmelzung.
Jeder der Clan-Mythen von Yamato beziehungsweise Izumo beinhaltete eine eigene zentrale Hausgottheit: Yamato den Takami-musubi und Izumo den Kami-musubi.
Beide Gestalten nehmen in der Schöpfung eine tragende Position ein, lediglich Ame-no-Minakanushi-no-kami (der "Hohe Herr der Hehren Himmelsmitte"), obwohl dargestellt als Hauptgottheit, tritt kaum in Erscheinung.
Schon ihre Dreizahl läßt den Schluß zu, daß hier eine Gottheit von den Chronisten erfunden worden sein könnte, da die himmlische Göttertriade eine in der chinesischen Mythologie häufige Konstellation ist. Die Anzeichen scheinen demnach dafür zu sprechen, daß eine Götterfigur von den Menschen selbständig in den Mythos eingebracht wurde, um diesen den Ansichten einer fremden, nämlich der chinesischen Kultur anzupassen.
Auch ihr Name in seiner Bedeutung liefert einen Hinweis auf chinesische Mythologie: Ame-no-Minakanushi-no-kami verkörpert als "Herr der Himmelsmitte" den Polarstern, in der chinesischen Tao-Philosophie Symbol und Sitz des "Großen Einen" -
t'ien-huang, ein Wort, welches gleichzeitig ein Begriff für die oberste Gottheit in der chinesischen Mythologie ist: der Himmelskaiser. Die Schriftzeichen 天皇 dafür werden sinojapanisch
tennô gelesen, die Bezeichnung für den Kaiser.
Demzufolge hat also auch dieser Titel seinen Ursprung eigentlich in der nach Japan eingeführten chinesischen Kultur, ebenso wie der Name der "urjapanischen" Shintô-Religion selbst: Im "Buch der Wandlungen" (
I-ging) bedeutet das Wort
shen-tao etwa soviel wie "göttliches Walten" oder den "Weg" des Himmlischen Herrschers.
Interessant ist, daß bis ins 20. Jahrhundert hinein die offizielle Geschichtsschreibung sich auf diese Werke stützte. Lange Zeit galt vor allem das Nihonshoki als offizielle Geschichtsschreibung, auch wenn die Inhalte natürlich keineswegs wissenschaftlich historisch nachweisbar sein konnten. Als der japanische Historiker Tsuda Sôkichi von 1913 bis 1933 in verschiedenen Arbeiten veröffentlichte, daß die Geschichtsaufzeichnung beider Chroniken "historisch wertlos" sei, verletzte er damit die Würde der Kaiserfamilie und wurde zusammen mit seinem Verleger zu einer dreimonatigen Gefängnisstrafe verurteilt, während viele seiner Werke verboten wurden...
gokiburi, der schon mal gespannt ist, was da noch so kommen mag...