Das, was meiner Meinung nach an diesem Weg oft falsch verstanden wird ist, dass es eigentlich gar nicht um Geschichten, sondern um Bilder geht, die durch die Geschichten entstehen sollen. Nur diese Bilder sollen eigentlich an die Schreibweise (bzw. welche Primitive und deren Reihenfolge) und Bedeutung der Kanji erinnern.
Diese Methodik des Lernens ist nicht neu, sie wird von verschiedenen Lehrwerken unterschiedlichster Art angewandt und es sprechen auch einige Ergebnisse aus der Gehirnforschung für die Verknüpfung unterschiedlichster Informationen zum besseren Memorieren von Lernstoff.
Das bedeutet, dass die Geschichten eigentlich nur ein Mittel zum Zweck sind; sie treten in den Hintergrund, sobald man ein aussagekräftiges Bild in sich geschaffen hat. Und dann sind diese Bilder ein mächtiges Mittel der Erinnerung, ähnlich einem Geruch, mit dem man auch nach Jahrzehnten noch Erinnerungen und Emotionen verknüpfen kann. Ich erinnere mich da an Beschreibungen von
Daniel Tammet, der
jeder Zahl eine ganz eigene Form und Farbe zuordnen kann. Er merkt sich also eigentlich nicht eine ellenlange Zahl, er "sieht" einfach die Form und weiß, welche Zahl das ist. Nur, dass dieser Vorgang bei ihm automatisch geschieht und wir diesen Vorgang aus eigener Kraft anstoßen müssen, wobei Methoden wie Kanji-ABC oder
Heisig uns weniger "begnadete" Lerner dabei unterstützen wollen. (ok, das Beispiel hinkt ein wenig)
Ist dieser Vorgang, aus den Geschichten ein kräftiges Bild entwickeln zu lassen, bei Piktogramm-Kanji mit einer fest umrissenen Bedeutung (Mensch, Vogel etc) noch relativ einfach, wird er umso schwieriger, je abstrakter die Bedeutung des jeweiligen Kanji und/oder desto unpassender die dazugehörigen
Heisig´schen Primitivbedeutungen scheinen. Um auch für diese abstrakten Kanji (welche nicht unbedingt die kompliziertesten sein müssen) Bilder zu finden, ist ein hohes Maß an Kreativität notwendig - aber ist diese Quelle auch nicht für jeden so ohne weiteres zugänglich (man könnte jetzt auch darüber debattieren, inwieweit unser Schulsystem daran Schuld ist...aber das ist ein anderes Thema).
Und das ist eigentlich das Problem an dieser (wie auch jeder anderen) Lern-Methode (die ich nach wie vor genial finde): Da jeder Mensch einen anderen Lerntyp hat oder anders an zu lernende Dinge herangeht, wird jeder auch unterschiedliche Ergebnisse mit dieser Methode erzielen. Was dem einen Lerntyp noch sehr leicht fällt scheint für einen anderen nahezu unmöglich zu sein
(@Teskal: Ich habe die ersten 500-1000 Kanji tatsächlich nur durch reines Lesen gelernt und das ist nach wie vor eine von mir bevorzugte Methode - je mehr Wörter ich mit einem Kanji kenne, je öfter ich es im Zusammenhang lese, desto besser prägt es sich mir ein.)
Auch für die Trennung von Teil-Informationen (hier Lesungen von Bedeutung und Schreibung) spricht einiges. Besonders Anfänger werden von den Information, die ein Kanji-Lexikon für so manche Kanji angibt, förmlich erschlagen - es verwirrt sie und die Informationen sind nur kurzfristig verfügbar und verflüchtigen sich nach kurzer Zeit. Ich habe das Beispiel schon oft erwähnt, aber ein Anfänger muss nicht sämtliche Lesungen und Bedeutungen des scheinbar einfachen Kanjis 下 lernen. Man lernt zunächst, dass es
unten oder
unter bedeutet, zusammen mit der Lesung した. Mit der Zeit, wenn schwierigere Texte hinzukommen lernt man weitere Wörter und erfährt, dass mit diesem Zeichen auch weitere Vokabeln verknüpft sind und lernt sie quasi en passant. Mit etwas Erfahrung lernt man den Unterschied zwischen On- und Kun-Lesungen zu erkennen und braucht auch darüber nicht mehr nachzudenken. Das ist rationell und relativ einfach. Und das ist auch einer der Gründe, weshalb
Heisig die Lesung von den Bedeutungen und der Schreibung getrennt hat. Wer das erste Buch durchgearbeitet hat, dem sind die Kanji genug vertraut, um durch das zweite schnell durchzukommen. Die Regeln, die darin stehen, kann aber auch jeder, der mit wachem Auge die Lesungen betrachtet, selbst entdecken, aber es hilft, sie einmal zusammengefasst nachlesen und lernen zu können - natürlich nur demjenigen, der sich darauf einlassen mag. Mit diesem Rüstzeug ist dar Rest eigentlich kaum noch ein Problem.
Es ist halt nur die Frage, ob man sich je vorhandener Zeit ein halbes Jahr oder länger hinsetzen möchte und sich ausschließlich damit beschäftigen möchte. Aber ich denke, wer diese Methode anwenden kann, und die beiden Bücher durchgearbeitet hat, der hat wirklich mindestens drei Vorteile: Er kann sich länger auf sein diesbezügliches Wissen verlassen, er braucht sich nicht mehr mit der Schreibung und dem Memorieren der Kanji auseinandersetzen und kann deshalb schneller voranschreiten und er wird die "Wissens-Einheiten" schneller mit zusätzlichen weiteren Informationen verknüpfen können.
Die Methode ist also nicht gleich schlecht, nur weil einige oder vielleicht sogar viele damit nicht klarkommen - sie ist nur einfach unpassend für einen Teil der Interessierten. Klar,
Heisig schreibt das so nicht, aber das ist meine Meinung.
Ach ja: Und wenn ich immer lese, dass "man noch niemanden kenne, der mit dieser Methode alle Kanji gelernt und behalten hätte", halte ich gerne dagegen, ob man
überhaupt jemanden kennt, der die Methode
ernsthaft angewendet hätte. Mal so die ersten Kapitel halbherzig durcharbeiten und dann aufgeben ist eben kein ernsthaftes Durcharbeiten. Aber vielleicht passte die Methode auch einfach nicht auf den eigenen Lerntyp und man hat deswegen aufgegeben. Das ist aber noch lange kein Grund, eine Methode vollkommen zu verteufeln und es anderen ausreden zu wollen, sie überhaupt auszuprobieren.
Denn: Ob sie einem liegt oder nicht, das muss doch jeder für sich selbst entscheiden und es stellt sich auch nach relativ kurzer Zeit heraus - dann heißt es einfach, sich zu entscheiden: Durchkämpfen oder nach einem anderen Weg suchen.
Es wurde hier in diesem Thread schon einige Male beschrieben, dass, selbst wenn man "nur" die ersten 500 - 1000 Zeichen mit dieser oder einer ähnlichen Methode (
Kanji ABC,
Ingenio,
KreaKanji,
Heisig...) gelernt hat, die Beschäftigung damit dennoch geholfen hat, in dem Strichsalat, den Kanji für Anfänger zu Anfang noch darstellen, eine Struktur zu entdecken. Immerhin hat man eine Menge Rüstzeug aufgenommen um vielleicht auch selbst einen Weg durch den "Kanji-Dschungel" zu finden. Auch hier gilt: Für den einen Lerntyp ist es leicht, diese Strukturen selbst zu entdecken - ein anderer hat damit große Probleme und ist auf Hilfe angewiesen.
Das hat nichts mit Intelligenz zu tun, sondern ausschließlich damit, wie man an Dinge herangeht oder gehen kann. Ich finde diese Meinungen, die immer wieder sagen, dass es nur einen (nämlich den ihren) Weg gäbe, äußerst kontraproduktiv. Da die meisten von uns die Schrift ja freiwillig lernen, hat jeder die Wahl zwischen vielen unterschiedlichen Methoden und ich finde, man sollte jeden ausprobieren lassen, was am Besten zu ihm passt - auch wenn es eine Methode ist, mit der man selbst nicht klarkommt (oder von der man meint, dass sie nicht zum Erfolg führt, das ist einerlei).
Was die Diskussionen meistens hochkochen lässt, ist meiner Meinung nach eigentlich nur die Radikalität der
Heisig-Gegner, die keine andere Meinung gelten lassen und die Methode vollkommen verteufeln. Da fallen keine Sätze wie "
Ich kam damit nicht klar..." oder "
Für mich war das nichts, aber..." sondern oft nur allgemeingültig formulierte negative Aussagen. Ich fand übrigens den obigen
Beitrag von Teskal erfrischend offen und ehrlich, denn er beschreibt genau die Probleme, die wahrscheinlich viele mit der Methode haben und solch ein Beitrag ist ganz sicher sehr hilfreich für jemanden, der sich fragt, ob er einen Versuch mit den Büchern wagen soll, oder nicht. Auch wäre er meiner Meinung nach eine gute Grundlage um eben über die Probleme, die manch einer mit der Methode hat, zu besprechen und eventuell einen hilfreichen Thread zu dem Thema zu starten.
Ich finde es schade, dass es hier im Forum unmöglich zu sein scheint, eine fruchtbare Diskussion unter
Heisig-Lernern führen zu können, ohne dass sich immer wieder andere einmischen, die behaupten, dass diese Methode fruchtlos sei und man doch besser "ernsthaft" oder "richtig" lernen solle; allein schon, dass sich die meisten Einträge zu dem Thema unter einem Thread mit dem Titel "
Planloses Lernen (mit und ohne
Heisig)" abspielt - ich wäre für einen Pro-
Heisig-Thread, wo Leute, die diese Bücher bearbeiten, Fragen stellen und von anderen hilfreiche Antworten bekommen können, die frei von negativen Aussagen über die Methodik sind. Es ist wirklich bedauerlich, dass diejenigen, die sich dazu entschlossen haben, mit dieser oder einer ähnlichen Methode zu lernen, zu dem Ergebnis kommen, ihre Fragen hier nicht stellen zu können (ohne Angst zu haben, dass eine Pro-Contra-Lawine auszulösen) oder auf
englisch-sprachige Foren ausweichen zu müssen.