Beitrag #2
RE: Die Würde des Scheiterns
Zitat: Ivan Morris: Samurai oder Von der Würde des Scheiterns
Unsere unbarmherzige, gewinnsüchtige und auf den Kampf um Überleben und Macht programmierte Welt verherrlicht den Erfolg. Daher sind ihre typischen Helden Männer und Frauen, deren Sache triumphiert hat. Ihr Sieg ist niemals frei von Mühsal, und häufig bezahlen die Helden ihn mit ihrem Leben. Ob sie nun leben und sich noch im Glänze ihres Ruhmes sonnen können, wie Mohammed, Marlborough oder Washington, oder ob sie stolz auf dem Schlachtfeld sterben, wie Nelson oder die Heilige Johanna, ihre Mühe und ihr Opfer werden sich doch im praktischen Sinne gelohnt haben.
Auch Japan hat seine erfolgreichen Helden — vom ersten Kaiser Jimmu an, der (der Legende nach) 660 v. Chr. die Barbaren bezwang und eine kaiserliche Dynastie gründete, die bis zum heutigen Tag regiert, bis zu den siebenundvierzig Rönin, die in dem stolzen Bewußtsein starben, die Schmach ihres Herrn gerächt zu haben, oder Admiral Togo (»der Nelson Japans«), der im russisch-japanischen Krieg bewies, dass das kleine Inselreich im Pazifik eine westliche Großmacht schlagen konnte. Und in jüngerer Zeit gibt es wissenschaftliche Genies, wie Yukawa und Noguchi, deren friedliche und nützliche Entdeckungen denjenigen anderer Länder um nichts nachstehen.
Indessen existiert noch ein anderer Heldentypus innerhalb der vielschichtigen japanischen Tradition. Es sind Männer, die gewöhnlich in einer rastlosen und kriegerischen Epoche leben und die in krassem Widerspruch zu jeder Verdienstethik stehen. Ihre bedingungslose Aufrichtigkeit verbietet ihnen jene Schachzüge und Kompromisse, die weltlicher Erfolg meist voraussetzt. In ihren jungen Jahren katapultiert ihr Mut und ihre Begeisterung sie vielleicht schnell nach oben, aber sie sind der Verliererseite versprochen und müssen unausweichlich zu Boden geworfen werden. Auf der Jagd nach ihrem qualvollen Schicksal bieten sie der Konvention und der Vernunft die Stirn, bis sie schließlich von ihren Feinden, den »Erfolgsmenschen«, geschlagen werden, denen es durch ihre skrupellose und realistische Politik gelingt, der Welt eine neue, stabilere Ordnung aufzuzwingen. Im Angesicht seiner Niederlage nimmt sich der Held in der Regel das Leben, um der Schmach der Gefangenschaft zu entgehen, um seine Ehre zu retten und um einen letzten Beweis seiner Aufrichtigkeit zu geben. Sein Tod ist kein temporärer Rückschlag, der von seinen Nachfolgern wieder wettgemacht werden kann, sondern das irreversible Ende der von ihm verfochtenen Sache: Sein Kampf war also praktisch sinnlos, ja, er wirkte sich sogar in vieler Hinsicht nachteilig aus.
Zwar kennt auch die westliche Geschichte große Männer, die ihre Ziele am Ende nicht erreichten, doch wenn sie zu Helden wurden, geschah das nicht wegen, sondern trotz ihres Scheiterns; Napoleons Bewunderer gehen selten auf die Zeit nach Waterloo ein, gehörte er dagegen zur japanischen Tradition, stünden sein Sturz und dessen bittere Folgen im Mittelpunkt der Heldengeschichte.
Diese Vorliebe für Helden, die ihre konkreten Ziele nicht zu erreichen vermochten, kann uns viel über japanische Werte und Empfindungen lehren - und damit indirekt auch über unsere eigenen. In einer vorwiegend konformistischen Gesellschaft, deren Mitglieder in Ehrfurcht vor Obrigkeit und Überlieferung erstarren, üben tollkühne, herausfordernde, aufrichtige Menschen wie Yoshitsune und Takamori eine besondere Anziehungskraft aus. Die gehorsame Mehrheit erträgt ihr Los in gefahrlosem Schweigen, findet aber eine Ersatzbefriedigung in der gefühlsmäßigen Identifikation mit diesen Individuen, die das Risiko eines einsamen Kampfes gegen eine überragende Übermacht eingehen, und das Scheitern all ihrer Bemühungen verleiht ihnen eine ergreifende Erhabenheit, die die Eitelkeit allen menschlichen Strebens bloßstellt und diese Männer zu vielgeliebten und die Phantasie beflügelnden Helden macht.
Selbst wir, mit unserer den Erfolg vergötternden Kultur, erkennen den Edelmut und das Ergreifende dieser fanatischen, ungestümen und selbstlosen Männer, deren aufrichtige Gesinnung sie nach einem schweren Gang in die Katastrophe führt. Obgleich die historischen Helden des Westens vorwiegend Sieger sind und es kaum eine Tradition des Mitgefühls für historische Versager gibt, ist uns durch die Literatur seit der Ilias und König Ödipus die Vorstellung vom »Helden als Verlierer« vertraut. Besonders in jüngerer Zeit hat sich eine Tendenz zur Anerkennung jener Individuen entwickelt, die dem Erfolg keinen Götzendienst leisten können oder wollen. »Nun liegt die Wahrheit bar zutag«, schreibt Yeats an einen Freund, dessen Bemühungen ins Leere gegangen sind:
Now all the truth is out,
Be secret and take defeat
Front any brazen throat. [...]
Bred to a barder thing
Than 'Triumph, turn away
And like a laughing string
Whereon mad fingers play
Antid a place of stone
Be secret and exult,
Because of all things known
That is most difficult.
(To a Friend whose Work has come to Nothing, 1914)
Die Männer, von denen dieses Buch handelt, stammen aus vielen verschiedenen Jahrhunderten und Gesellschaftsordnungen, daher fügen sie sich nicht in einheitliche Verhaltensmuster und Ideale, jedenfalls waren sie alle »zu Schwererem bestimmt« und ergeben zusammengenommen ein Bild vom Spektrum des irdischen Scheiterns, der damit verbundenen Würde und der Gründe für seine besondere, magische Anziehungskraft in der japanischen Tradition.
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