RE: "Die Ballade von Narayama" am 19.05. um 22.40 auf Arte (OmU)
Will mal wieder auf den Film zurückkommen, um den es hier eigentlich gehen soll (japanisch "Narayama bushikô" 楢山節考). Mir ist aufgefallen, wie viele hier rein von ihrem Gefühl her an die Story rangehen und sie aus unserem heutigen Blickwinkel heraus betrachten. Das mag sicherlich legitim sein und auf jeden Fall in meinen Augen immer noch besser zu verkraften als eine Verklärung des "ach so romantischen Todes in Japan", trägt aber zum Verständnis dieses sensationellen(!) Werkes nicht wirklich viel bei.
Da mir hier einfach zu viele der geäußerten Sätze sauer aufgestoßen sind (sorry, aber...), möchte ich darauf verzichten, jeden einzelnen zu zitieren und zu kommentieren. Statt dessen gebe ich einfach mal so ganz frei meine Meinung zu dem ab, was mir spontan noch einfällt (Übertreibungen habe ich bewußt-provokant so gewählt!):
Wenn wir uns nicht in die gezeigte Lebensumwelt hineinversetzen können, ist es leicht, die Sitte des Aussetzens der Alten als "unmenschlich" zu bezeichnen, oder den Film als "zusammengestückeltes" Machwerk zu verreißen, in dem die Landbevölkerung -politisch natürlich völlig unkorrekt- als "tumbe Bauerntölpel" im Gegensatz zu den "kultivierten Städtern" dargestellt wird. Auch sind die Lebensbedingungen bzw. die "Mißstände" keineswegs so "sozialer Natur", als das sie aus diesem Lager her kritisiert werden müßten oder gar in diesem Zusammenhang mit der "Diskussion um Sozialschmarotzer" in einem Atemzug genannt werden dürfte.
Im Rahmen meiner Magisterarbeit habe ich mich mit der Bergwelt Naganos (alter Name Shinshû, wo Novelle und Film spielen) beschäftigt, und kann angesichts der teilweise extrem(!) harten Lebensbedingungen in den Bergdörfern zumindet nachvollziehen, wie solch eine aus unserer Sicht "barbarisch" anmutende Sitte entstehen konnte. Und ich kann guten Gewissens sagen: NEIN, die Darstellung der Lebensumstände war REAL und DURCHAUS NICHT übertrieben! Zusätzlich erwähne ich hier zwei von drei verhehrenden mehrjährigen(!) Hungersnöte, die Japan während der Edo-Zeit heimsuchten und auch in Nagano einen Großteil der Bevölkerung dezimierten: die Tenmei- sowie die Tenpô-Hungerkatastrophen von 1781 bis 1789 bzw. von 1833 bis 1837.
Um in einer solchen Zeit das Überleben zu sichern, ist es da wirklich so unmenschlich, wenn Orin auf den Berg geht? Wäre es wirklich sozialer, aus Nächstenliebe zu verhungern? Können wir wirklich von einer "Grausamkeit" sprechen? Und von "Gefühlskälte"?
Ich finde es zugegebenermaßen recht arrogant, wenn wir im Film das "den Alten und Nutzlosen abgesprochene Daseinsrecht" kritisieren, weil wir selbst ja (glücklicherweise!) in einer Umwelt leben in der wir über Goethe und Kant philosophieren können, und uns nicht Gedanken machen müssen, wie wir ALLE über den nächsten Winter kommen (das auch als kleine Spitze gegen den Vorwurf zur Darstellung der Bergbewohner als "naiv", der mich doch sehr gestört hat...)
Ach ja, und zum Stichwort: "unzusammenhängende Schockeffekte"... Kann dieses "Unzusammenhängende" nicht die immer wieder aufs neue auftretenden Sorgen ("Schocks") verdeutlichen, die jeden Tag wie den anderen erscheinen lassen, da man immer wieder neu um sein Dasein kämpfen muß?
Ich habe den Film damals im Rahmen meines Uni-Aufenthaltes in Japan gesehen und diskutiert. Auch ich war betroffen und beeindruckt, allerdings eher vor dem Anblick der Kraft, die die Bergbewohner aufbringen, um in dieser lebensfeindlichen Umwelt trotz allem zu existieren, wozu eben auch der "Gang in die Berge" zählte...
Im Übrigen ist nicht klar, ob in Japan diese Sitte überhaupt jemals existiert hat, allerdings soll es angeblich in Korea in der Geschichte solche Fälle gegeben haben, und dort sind die Winter auch etwas heftiger als in unseren Breiten.
Okay, ich komme zum Schluß: ich fand den Film nicht gut, ich fand ihn GROSSARTIG!! Und ich würde ihn immer empfehlen, euch allen auch ein zweites mal, und zwar dann aus einer anderen Sicht als der uns vertrauten...
gokiburi, der sich auf Reaktionen jeglicher Art freut
PS: um Japanisch zu lernen, ist der Film tatsächlich nicht sehr sinnvoll, man spricht Dialekt...
♪♪あぁ蝶になる、あぁ花になる、
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(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 30.03.05 16:46 von gokiburi.)
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