Vorbemerkung
In diesem Thread sollen Methoden vorgestellt und diskutiert werden, mit denen man eine große Zahl bereits erlernter Kanji gegen das Vergessen absichern kann. Ich habe im Titel willkürlich die Untergrenze für die in diesem Thema zu besprechenden Strategien bei einer Zahl von 500 erlernten Kanji angesetzt, weil ich denke, dass Konzepte von weniger Fortgeschrittenen den Nachweis ihrer Effektivität noch nicht erbracht haben können. Das mag überheblich klingen, aber mich persönlich interessieren besonders die Erfahrungen von Leuten, die womöglich schon sämtliche Jôyô-Kanji oder gar mehr gelernt haben, und deren Mittel und Wege, wie sie diese vor dem Verschwinden ins Nirwana geschützt haben und weiter schützen.
Um den Interessenten- und Mit-Arbeiter-Kreis in diesem Thread aber nicht allzu klein werden zu lassen dachte ich, er könnte auch all jenen zu Nutze sein, die sich auf den JLPT Stufe 2 oder 1 vorbereiten. Die Zahl 500 habe ich mir aus dem Bauch geschlitzt und soll ansonsten natürlich keine fixe Größe sein. Bis zu den 300 Kanji von Stufe 3 kann man sich noch irgendwie durchwurschteln, ich habe es auch nicht anders gemacht. Aber irgendwo zwischen 300 und 500 Kanji kommt der Punkt, an dem einem die verflixten Dinger immer wieder entgleiten, weil man nicht systematisch genug gelernt hat und die Zeichen noch nicht ins Langzeitgedächtnis abgesunken sind. Frust. Es ist kein Zufall, dass alle mir bekannten Vhs-Kurse an dieser Schwelle stagnieren und beim JLPT ab Level 2 die Teilnehmerzahlen schlagartig zurückgehen. Ich kenne außerdem eine Menge Leute, die aus verschiedensten Gründen mit dem Japanischlernen anfingen und genau an diesem Punkt resigniert das Handtuch geschmissen haben.
Selbstverständlich kann an der Diskussion auch jeder teilnehmen, der weniger Kanji gelernt hat und ernst gemeinte Anregungen oder Fragen hat.
Ich betone ausdrücklich, dass es in diesem Thread um das systematische Absichern großer Mengen bereits erlernter Kanji geht, nicht um den Erstkontakt mit neuen Kanji und das Erlernen von Kanji allgemein. Dazu gibt es schon mindestens vier umfangreichere Themen, die durchaus eine Fortführung und Vertiefung vertragen könnten:
1.
Kanji lernen
2.
Kanji lernen- wie fange ich an?
3.
Kanji bloß lesen oder auch schreiben lernen?
4.
Originelle Kanji-Lernmethoden
Ich denke, man kann Strategien zur Überführung der Kanji ins Langzeitgedächtnis in zwei grundsätzlich verschiedene Wege aufteilen:
1. Methoden, die elektronisch gespeicherte Kanji-Daten und entsprechende Repetitions-Programme als Medium nutzen.
2. Methoden, die gedruckte oder handgeschriebene Kanji-Karten als Medium nutzen.
Von der ersten Gruppe habe ich keine Ahnung, würde mich aber freuen, wenn ein paar Leute ihre Vorgehensweise mit solchen Programmen hier genauer schilderten. Die meisten werden sich heutzutage vielleicht für eine solche Methode entscheiden, und ich fände eine Gegenüberstellung der beiden Wege ganz spannend.
Im Folgenden stelle ich meine eigene Systematik vor, die der zweiten Gruppe angehört.
atomus methode
Ich habe 2 Karteikästen mit jeweils 1000 selbst beschriebenen DIN A7 Kanji-Karten. Vorderseite nur das Kanji. Rückseite sämtliche gängigen Lesungen mit deutscher Übersetzung, eine eigene fortlaufende Nummerierung und zwei Index-Zahlen (1. die Nummer aus Langenscheidts "Kanji und Kana" bzw. Langenscheidts "Großwörterbuch", falls nicht Jôyô-Kanji, und 2. die Nummer aus Henshalls "A Guide To Rembering Japanese Characters").
Diese 2000 Karten sind in Gruppen zu je 200 Kanji geteilt, die immer zusammenbleiben, also nach meiner eigenen fortlaufenden Nummerierung die Kanji mit den Nummern 1-200, 201-400, 401-600, usw.
Diese Gruppen sind wiederum in 5 kleinere Stapel zu je 40 Kanji geteilt. Diese Stapel bleiben nicht fest zusammen, sondern werden gelegentlich wieder untereinander gemischt und dann erneut in 5 Stapel zu 40 Kanji geteilt.
Jeden Morgen nehme ich mir 3 von diesen 40er-Stapeln zum Wiederholen in die Hand. Ich fange also zum Beispiel heute an mit den ersten 3 Stapeln der Gruppe 1-200. Morgen wird dann der erste Stapel weggelegt und dafür der 4.Stapel aufgenommen. Übermorgen sind die 3. bis 5.Stapel dran und am Tag danach dann der 4. und 5.Stapel der ersten Gruppe und der 1.Stapel der zweiten Gruppe 201-400. So geht das immer weiter bis ich (nach 50 Tagen, falls ich fleißig war) sämtliche 2000 Karten durch habe und wieder von vorne anfange. Also immer einen Stapel wegnehmen und einen wieder aufnehmen, schön brav der Reihenfolge der Stapel im Karteikasten nach. Das heißt, jeden Stapel und somit jedes Kanji sehe ich an drei Tagen hintereinander.
Ich gehe die drei Stapel, die ich an einem Morgen in die Hand nehme auf unterschiedliche Art und Weise durch:
Den
ersten Stapel, das ist der, der am nächsten Tag wieder für (mind.) 50 Tage im Kasten verschwindet, knöpfe ich mir am längsten vor. Ich nehme den Stapel auf die linke Hand, schaue mir das Kanji auf der Vorderseite kurz an, und schreibe es dann zunächst mit dem Zeigefinger der rechten Hand auf den Tisch, ohne hinzuschauen. Dabei spreche ich (manchmal laut, manchmal still für mich) die dazu gehörigen Lesungen und deutschen Übersetzungen. Dasselbe mache ich gleich noch einmal, diesmal schaue ich auf den Finger. Ich versuche den Eindruck des Kanji jetzt ganz stark zu visualisieren, ich sehe es wie in schwarzer Tinte geschrieben vor mir. Danach mache ich das gleiche noch drei mal, nun aber rein mental (!), das heißt ich schreibe das Zeichen mit einem imaginären Pinsel auf ein imaginäres Blatt Papier, ohne meine (echten) Hände zu benutzen. Wenn ich mich nicht konzentrieren kann, schließe ich die Augen. Schließlich schreibe ich das Kanji noch zweimal mit dem Finger auf den Tisch, ohne auf denselben zu schauen. Danach stecke ich die Karte nach hinten und verfahre genau so mit der nächsten und allen weiteren Karten, bis ich durch den Stapel durch bin. Das hört sich vielleicht umständlich und lang an, aber es geht irgendwann ziemlich fix mit jeder Karte. Für diesen Stapel brauche ich dennoch etwa 10 Minuten.
Den
zweiten Stapel nehme ich mir dagegen im Schnelldurchlauf vor. Ein kurzer Blick auf das Kanji, Lesungen und Bedeutungen hersagen (stumm), nächste Karte. Das dauert insgesamt nicht länger als 2 Minuten. Dieser Stapel wird am nächsten Tag zum ersten Stapel und ist am Tag zuvor der dritte Stapel gewesen.
Der
dritte Stapel ist folglich der, der zum ersten Mal seit langer Zeit (mind. 50 Tage) wieder aufgenommen wird. Ich nehme ihn genau wie den zweiten Stapel durch, lasse mir aber für die einzelnen Kanji-Karten etwas mehr Zeit. Einige Zeichen sind noch ganz vertraut, andere sind nach fast 2 Monaten schon erstaunlich fremd geworden. Manche werden fehlerhaft erinnert, einige wenige sind völlig futsch. Diese ganz bösen Ausreißer nehme ich raus und lege sie beiseite (was mit denen geschieht folgt noch). Für den dritten Stapel brauche ich 3-5 Minuten.
Über diese drei Stapel hinaus gehe ich jeden Morgen noch einen
vierten Stapel durch. Da sind die Kanji drin, die ich zuletzt gelernt habe. Das sind nämlich die ganz hinterlistigen, die einem am schnellsten entwischen. Die frisch gefangenen Pferde wollen bekanntlich immer als erste wieder hinaus. Früher war dieser Stapel bei mir genauso groß wie die anderen drei, das heißt, er beinhaltete die 40 zuletzt gelernten Kanji. (Inzwischen schreibe ich nicht mehr so viele neue Kanji-Karten jede Woche, da genügen die letzten 10.) Zu diesen bin ich inzwischen sehr streng, sie müssen bei mir antanzen, ohne dass ich sie eines Blickes würdige. Ich schreibe sie der Reihenfolge nach (das zuletzt gelernte zuerst) mit dem Finger auf den Tisch, ohne die Karten anzusehen.
Insgesamt brauche ich für diese vier Stapel jeden Morgen ca. 20 Minuten.
Abends setze mich noch einmal hin und mache ein paar Schreibübungen mit den bösen Kanji, die ich morgens aussortiert habe, weil sie sich der Erinnerung widersetzt haben, und mit ein paar Zeichen, die ich zuletzt gelernt habe. Dafür suche ich mir aus Kanji-Lexika Wörter, in denen diese Kanji vorkommen. Danach stecke ich sie dann wieder in den Stapel zurück. Die ersten drei Stapel mische ich am Ende wieder gut durch (wichtig!). Diese abendliche Wiederholung dauert insgesamt nicht mehr als 10 bis 15 Minuten. Anschließend lerne ich (wenn es geht) im Lehrbuch weiter und/oder nehme mir neue Kanji vor.
Anmerkungen:
Wichtig war mir bei dem System, alle Kanji periodisch und in einigermaßen gleich bleibenden Abständen zu wiederholen, und trotzdem nicht immer die gleiche Reihenfolge einzupauken. Man kann sonst später die Lesungen und Bedeutungen der Zeichen außerhalb eines solchen Reihenfolge-Kontextes oft nicht mehr erinnern. Deshalb das tägliche Mischen der Karten innerhalb der Stapel und das gelegentliche Mischen innerhalb der 200er-Gruppen (genügt nach jedem 2. oder 3. Gesamt-Durchgang).
Natürlich lässt sich das System den eigenen Bedürfnissen (und Schwächen!) beliebig anpassen. (Ich habe zum Beispiel eine Zeit lang 50er Stapel gemacht. Solange die Gesamtzahl noch nicht so groß ist, wären aber auch viel kleinere Stapel denkbar). Jeder hat ein anderes Tempo, einen anderen Lern-Typus, und vor allen Dingen ein anderes Gedächtnis. Meins ist wirklich miserabel (denkbar schlechte Voraussetzung für das Erlernen eines asiatischen Zeichensystems, aber wo ein Wille ist…). Darum kann es sein, dass bei anderen Leuten viel weniger Aufwand nötig ist als bei mir. Für mich hat sich diese Methode im Laufe der Jahre herausgeschält, und immerhin kann ich sämtliche Jôyô-Kanji jetzt ziemlich sicher im Text erkennen und lesen. Weniger Aufwand hätte nie bei mir gereicht, um soweit zu kommen, mehr Aufwand hätte ich neben Beruf und Familie beim besten Willen nicht treiben können.
Leider bin ich immer noch nicht an meinem Ziel, einen komplexeren Text flüssig lesen zu können, angelangt. Ich erkenne fast alle Zeichen, aber ich bin viel zu langsam und es fehlt immer noch sehr am Wortschatz. Darin liegt auch ein Grund, warum ich meine Methode hier zur Diskussion stelle. Ist sie zu umständlich? Vielleicht gibt es bessere Wege. Ich bin dankbar für jede Kritik.
atomu
Edit am 19.11.2006: Eineinhalb Jahre, nachdem ich meine Methode hier beschrieben habe, komme ich in einem kleinen
Rückblick zu folgendem Schluss:
Zitat: FAZIT: Die in diesem Thread von mir beschriebene Methode eignet sich nur für Sturköppe und führt ohne Ergänzung nicht zum flüssigen Lesen von Texten.
Jeder muss halt eine Methode finden, die zu ihm passt. Hauptsache man hat irgendeine Methode.