RE: Daniel In Japan
Hallo. Ich denke auch, daß es keine gute Idee ist, auf Daniel als Person herumzuhacken. Das hilft niemandem weiter. Noras Vorschlag, doch lieber über die Übersetzung zu diskutieren, ist sicher besser - allerdings schwerer zu bewerkstelligen, denn die meisten hier haben sicher nicht das Original griffbereit, um selbst vergleichen und sich anschließend kompetent äußern zu können. Dabei kann man eigentlich NUR DANN etwas darüber sagen, wie "gut" die Übersetzung ist, ob sie die "Atmosphäre" des Originals trifft usw.
Ich persönlich muß sagen, daß ich Daniels Übersetzung für jemanden, der erst 19 und offensichtlich (noch) nicht professionell im Sprachmilieu zu Hause ist, sehr ambitioniert finde. Wie aus seinen Postings hervorgeht, hat der Text für ihn offenbar eine persönliche emotionale Bedeutung - und zwar der Text, so, wie ER ihn versteht. Und deswegen übersetzt er ihn - und zwar so, wie ER ihn versteht. Seine Beziehung zu diesem Text ist seine Triebfeder, ihn zu übersetzen. Und das ist in Ordnung - für ihn und alle, die von seiner Übersetzung angesprochen werden.
Allerdings ist es auch nicht so besonders schwer zu entscheiden, ob sein Text - außer seinem "Wert an sich" - tatsächlich auch als eine dem Original angemessene Übersetzung betrachtet werden kann. Das kann er nämlich m. E. deutlich nicht. Zum einen besitzt Daniels Übersetzung zahlreiche stilistischen Eigentümlichkeiten, die den Text an diversen Stellen "aufladen", wo im Original ganz normale Alltagsworte verwendet sind ("Friedlich und still, bleichblaues Meer." für "Odayaka ni naida, massao na umi datta." [einmal abgesehen von grammatikalischen und lexikalischen Schnitzern]), während er an anderer Stelle über tatsächlich vorhandene Spitzen hinwegplaniert. Zum zweiten jedoch, finden sich eben leider auch auf Schritt und Tritt Belege für das (noch) nicht so besonders ausgereifte Verständnis des Japanischen beim Übersetzer. Ich will das natürlich nicht einfach nur so in den Raum blasen, sondern belegen. Ich widme mich zur Illustration der Überschrift und dem ersten Absatz des ersten Kapitels.
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Es beginnt beim Titel: "Schrei nach Liebe..." - Wieso "Schrei"? Der japanische Titel ist eine Verbalaussage (sakebu), also ein Satz. Dieselbe zu einer Nominalgruppe umzuformen, als stünde dort "sakebi", entzieht ihr die Subjekthaftigkeit.
Erster Satz: "An jenem Morgen wachte ich auf" (soll vorkommen) "und weinte". Im Original ist die Sache deutlich sinnhafter, denn da ist der erste Teil ein "to"-Nebensatz ("wenn/als ich..."). Im übrigen erzeugt das "jener" bei "Morgen" den Eindruck, wir müßten wissen, um welchen speziellen Morgen es sich handelte... Eine solche Forderung stellt das Original nicht an uns ("Asa, ...").
Zweiter Satz: "So war es jeden Tag". - "War"? (Itsumo no koto da.)
Dritter Satz: "Ich war mir nicht mehr sicher, ob es Traurigkeit oder etwas Anderes war." - "Ich war mir nicht mehr sicher"? "Wakaranai" ist ebenfalls nicht perfektiv (war...); das "nicht mehr" impliziert sonst nämlich, daß er sich früher einmal sicher war und dann war er es nicht mehr. Das steckt im Original aber nicht drin; eher ein: "Ich bin mir (schon) nicht mehr klar darüber / Ich weiß (schon) nicht mehr, ob..." Des weiteren heißt der erste Teil des Satzes im Original "Kanashii no ka dou ka sae". Das "sae" (nicht einmal) scheint dem Übersetzer nicht aufgefallen zu sein; das Adjektiv "kanashii" scheint er für "Traurigkeit" zu halten, das "no" fällt ebenfalls unter den Tisch, und warum er das "ka dou ka", das in der indirekten Satzfrage des Japanischen schlicht und ergreifend nötig ist, zu "oder etwas Anderes" aufbläht, wo unser "ob" völlig ausreicht...
Am nächsten Satz will ich nicht zu sehr meckern - höchstens, daß diesmal nicht aufgebläht, sondern zusammengeschnitten wurde; ein knappes "verflossen" dafür, daß die Gefühle (<- dafür läßt sich vielleicht auch etwas noch Passenderes finden) "doko ka he nagarete ita".
Nächster Satz: "Ich liege eine Weile im Futon - geistesabwesend -, bis meine Mutter ins Zimmer schaut: "Nun steh' aber mal langsam auf", sagt sie." ... Wieder der Unterschied zwischen perfektiver und nicht-perfektiver Handlung! (Der ganze Satz steht in der Vergangenheit - wie überhaupt alles, was sich an "jenem" Tag ereignete; Warum nur springt der Übersetzer auch im folgenden zwischen perfektiven und nicht-perfektiven Prädikaten herum und wählt zumeist gerade NICHT-perfektive?). Dann erneut ein Problem mit den Nebensätzen... Im Original steht "Shibaraku futon no naka de bonyari shite iru to, haha ga yatte kite, "Sorosoro okinasai" to itta." - Also wieder einmal ein "to". Aber ebensowenig, wie man es als Hauptsatz-beiordnende Konjunktion auffassen kann (wie im ersten Satz geschehen), so wenig hat es den Bedeutungsinhalt von "(solange...) bis", sondern - wie schon oben - kommt man mit so etwas wie "als" sicher wesentlich dichter ans Original: "Als ich noch... lag, kam (plötzlich) meine Mutter..." Die Parenthese des " - geistesabwend - " ist stilistisch unschön und erzeugt einen Aufmerksamkeits-Spot, wo im Japanischen keiner ist. Wie wäre es denn mit "Als ich noch ganz geistesabwend..." oder etwas ähnlichem? Der Ton der wörtlichen Rede der Mutter in der Übersetzung ist gegenüber dem Original deutlich kommandomäßiger - warum? (Weder gibt es irgendeinen Hinweis darauf, daß sie spät dran sind, noch darauf, daß die Mutter sauer auf den Protagonisten ist.) Auch das nachklappernde "sagt sie" ist im Deutschen nicht eben eine gute Idee. Warum klappert es denn nach? Doch nicht, weil im Japanischen "to itta" auch hinten steht, oder?
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Fazit. Nach wie vor: Ich halte Daniels Tun für ambitioniert und bin sicher, daß er gerade auch durchs Übersetzen viel lernen wird. Und allein deswegen ist so eine Übersetzung für ihn wertvoll - und daß er dadurch, daß er sie online stellt, auch anderen Leuten einen Einblick in die Geschichte gibt, ist auch völlig ok. Und diesen Einblick bekommt man ja auf jeden Fall - will heißen: Mit Blick auf den wesentlichen Inhalt hat Daniels Übersetzung im Großen und Ganzen natürlich schon einen Bezug zum Original. Aber sich im Zusammenhang mit seinem Text über die "Atmosphäre" des Romans Gedanken zu machen oder gar über Veröffentlichungen etc. zu sinnieren (wie es einige, nicht jedoch Daniel selbst, getan haben) ist m. E. doch ein bißchen sehr weit übers Ziel hinausgeschossen. Und das weiß Daniel - seinen Postings zufolge - auch selbst.
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 04.11.05 09:33 von Botchan.)
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