Ich will diesen, was das Internet angeht, 'alten' Thread aufgreifen, da mir Kommentare zu einigen Punkten nötig erscheinen...
(29.05.07 16:13)Jake E. Lee schrieb: ...ist's eigentlich ungeschriebene Regel oder eher der Lust und Laune des Uebersetzters ueberlassen, wenn es darum geht, mittelalterliche Schriften ins Japanische zu uebertragen und als Zielform Altjapanisch zu waehlen, um vielleicht das Alter betreffender Texte hervorzuheben, das gewisse Flair vermitteln zu koennen, wollen, muessen, duerfen?
Leider hab ich jetzt keine Beispiele parat.
Ja, woher sollte Jake E. Lee die auch haben? Ich bin zwar kein Fachmann für ältere Sprachstufen des Japanischen, aber warum sollte jmd., der Althochdeutsch oder Mittelhochdeutsch kann, einen Text ins Alt- oder Klassische Japanisch übersetzen? Das scheitert doch
erstens daran, dass es kaum jmdn. mit solch einer geglückten Interessenaufteilung gibt, und
zweitens: Wo ist hier der Nutzen für den Japanisch sprechenden Endnutzer? Dieser müsste ja wiederum diese alte Sprachstufe kennen . . . usw. usf. ...
Einfach unpraktisch, aber
nicht sinnlos! Denn in einer aktuellen (ab den 90-ern...) Debatte in der Übersetzungswissenschaft wird von einigen Wissenschaftlern vorgebracht, dass für die Übersetzung eines Textes nicht nur sein Inhalt von Belang sei, sondern auch andere Fakten, wie
Alter, Metrik etc. Nun will ich hier nicht in Haarspalterei abgleiten, aber in einem Roman wie James Joyces "Ulysses" oder Thomas Manns "Doktor Faustus" ist es auf jeden Fall angebracht, wenn nicht sogar notwendig, einige Passagen nicht in der Gegenwartssprache zu übersetzen, da kontrastierend Joyce Mittelenglisch und Mann barockes Deutsch à la Grimmelshausen oder Frühneuhochdeutsch à la Luther, Hutten und Co. benutzten. Diese Passagen müssten auf jeden Fall in der entsprechenden Sprachstufe übersetzt werden, um die Kontrastierungsfunktion zu verdeutlichen. Aber auch zu nichts anderem ist solche Spielerei nützlich! Wer kommt denn auf den ergreifenden Gedanken, Goethe in Bungo zu übersetzen oder Ähnliches mehr? Ich meine, ist nicht Sinn und Zweck der Übersetzungstätigkeit, den Text A einer mir nicht zugänglichen Sprache für Nutzer der Sprache B
lesbar zu machen? Wer meint, den Aspekt des Alters und anderes mehr, beibehalten zu müssen, ist sehr korrekt und lobenswert, aber möglicherweise schießt er damit über das Ziel hinaus (oder verfehlt es, da der Sprechende der Sprache B den übersetzten Text immer noch nicht verstehen *hust*).
Außerdem gibt es natürlich ein
Problem der Vergleichbarkeit älterer Sprachstufen. Ich möchte hier eher der deutschen Sprache das Wort sprechen, da ich in meinem Studium genug mit der Geschichte ebendieser zu tun hatte und hier vielleicht ein wenig Input liefern kann.
Zitat:Geschrieben von Datenshi - 31.05.07 01:09
Jo, Ahd./Mhd. hinkt hier etwas als Vergleichsmoment.
Warum? Um beim Beispiel des
Genji Monogatari zu bleiben: Wenn es um 1050 verfasst worden ist, dann bietet sich m. E. das Mittelhochdeutsche an. Zwar ist es um 1050 noch, um genau zu sein, als Frühmittelhochdeutsch zu bezeichnen, aber es hat in der Poesie und in Prosaepen sehr viel mehr Wortkraft und 'Geschmack' als es das Althochdeutsche hat.
Für den (über-)eifrigen Übersetzer KJ-Ahd. ergäbe sich das Problem, dass er zu wenig Wortmaterial im Ahd. hätte, ihm einfach zu viele Wörter fehlen; dieses Problem hat er bei der Wahl des Mhd. nicht. Aber ob njap. 武士 'bushi' (
was ist 武士 im Klassischen Japanisch?) einfach so mit mhd. 'recke' übersetzt werden kann - ich weiß nicht.
Nun noch ein Wort zum Problem der Vergleichbarkeit alter Sprachstufen.
Im Deutschen existierten im Grunde nur zig Dialekte, die wiederum größeren Gruppen zugeordnet wären: Zum einen MittelHOCHdeutsch und MittelNIEDERdeutsch. Mittelhochdeutsch diente als Sprache der Dichtung und Epik und das Mittelniederdeutsche als Kanzleisprache, Sprache des täglichen Gebrauchs (sofern nicht Latein in öffentlichen Briefen etc. 'angesagt' war). Doch gab es nie ein
einheitliches Mittelhochdeutsch! Im 19. Jahrhundert, als eifrige Männer mittleren Alters sich auf die Spuren der "Teutschen" und deren Sprache im Mittelalter machten, generierten sie - namentlich Karl Lachmann, Franz Bopp, die Brüder Grimm und Konsorten - eine "Kunstsprache", um eine einheitliche Edition mittelalterlicher Epen sicher zu stellen. Damit wurden die Texte gemeinhin lesbarer und man musste nicht wissen, was nun ein gewisser Schreiber aus Sachsen, der Pfalz oder sonstwo her wie anders schreibt als Schreiber anderer Dialekte.
Um auf den Punkt zu kommen: Vergleichbarkeit? Mit Japan? Wie sah das denn in Japan aus? Ich würde annehmen, dass auch das klassische Japanisch, das uns in Werken wie das angeführte Genji Monogatari überliefert ist, auch nur aus diesen Werken bekannt ist und bestimmt eine sehr stilisierte Sprache ist. Nichtsdestotrotz: Gab es neben einer klassischen japanischen Sprache am Hof und im Alltag schon Dialekte? Ich würde es mal vermuten... Daher müsste unser oben erwähnter Übersetzer KJ-Mhd. echt ins Zeug legen!!! Er müsste, wenn er "Hardcore"-Vertreter der Übersetzungstheorie ist, KJ [Dialekt] - Mhd. [Dialekt] wählen (Wie soll er das machen? Kriterien?) und diese dann stets nutzen...
Viel
Spaß dann auch! ^^
(Hups, ein bisschen lang geworden... ごめん、 皆さん!)