Hallo 梨ノ木, tut mir leid, ich habe nicht immer Zeit, in der richtigen Länge zu antworten. Hier also:
Zitat:Eine unsachgemäße oder unnötige medizinische Behandlung hingegen, insbesondere ohne vorherige genaue Aufklärung und Einwilligung des Patienten, oder dessen Vertreters, sollte seit langem verboten sein. Das hat nichts mit dem "divers" Status zu tun. Wenn das in der Praxis derart rechtswidrig ablaufen sollte, wäre das skandalös und selbstverständlich strafrechtlich relevant.
Die Wikipedia weiß dazu unter Intersexualität:
Zitat:Ab den 1960er Jahren wurden bei Kindern mit nicht eindeutig bestimmbarem Geschlecht häufig bereits im Neugeborenenalter geschlechtsangleichende Operationen durchgeführt. (...) Diese Eingriffe wurden zumeist ohne wirksame Einwilligung der Eltern, insbesondere ohne hinreichende Aufklärung über die mit diesen Eingriffen einhergehenden Risiken und medizinisch notwendigen Folgebehandlungen durchgeführt sowie oftmals auch ohne zwingende medizinische Indikation. Dies stand im Widerspruch zu der Bedeutung dieser Maßnahmen als irreversible Eingriffe in den Kernbereich der persönlichen Identität und der körperlichen Unversehrtheit.
Schön, dass wir uns da einig sind.
Das klingt für mich sehr nach Zwangsoperation.
Ich glaube aber, wir haben eine andere Definition von Zwangsoperation. Intersexuelle Kinder konnten sich natürlich auch gegen die Operationen dann nicht wehren, wenn die Eltern die Erlaubnis dafür erteilten. Das sehe ich ebenfalls als Zwangsoperation an und Betroffene auch. Du nicht? (jeder Zeitungsartikel würde das tun ...) Rechtlich ist das natürlich anders, aber ich finde, du machst es dir doch sehr einfach in der Argumentation.
Glaubst du, die Eltern entscheiden in solch einer Situation immer richtig und im Sinne des Kindes? Da du eine Vormundschaft hast, wirst du wohl wissen, wie es ist, wenn du in einer Runde mit Fachärzten sitzt und diese alle auf eine Operation „im Interesse des Kindes“ drängen. Diese findet dann natürlich unter genau deinen Argumenten statt: Das Kind ist „krank“ bzw. "korrekturbedürftig" und entspricht nicht „der zweigeschlechtlichen Norm“ und muss deshalb auf jeden Fall operiert werden. Gerade diese Argumentation von „krank“ und „zweigeschlechtlicher Norm“ bildet doch die Grundlage, die Eltern auf eine Operation hinzudrängen. Deshalb ist es eben nicht „erstmal vielleicht nervig“, es wurden irreversible Operationen getätigt genau aus diesem Grund.
Und genau deshalb dürfen Eltern in diesem Fall seit Mai 2021 nicht (zum Beispiel auf Drängen von Ärzten) mehr über die Köpfe ihrer Kinder hinweg entscheiden.
Du schreibst selbst: "Ich bin selbst seit Jahren gesetzlicher Vertreter einer anderen Person und ohne meine Zustimmung läuft gar nichts, schon gar keine größeren Eingriffe!" Und ausgerechnet hier hoffst du dann, dass die Ärzte schon alles richtig entscheiden?
Du schreibst:
Zitat:Ich wundere mich nur warum man sich angeblich (laut Deiner Aussage) im Fall der Intersexuellen nicht an geltendes Menschen- und Medizinrecht hält. Die Einhaltung hat nichts mit irgendeinem Status zu tun, sondern ist schlicht elementares Menschenrecht, das ausnahmslos gelten sollte.
Nochmals, falls das in Deutschland (oder anderswo) nicht so sein sollte, muss natürlich sofort Abhilfe geschaffen werden, damit hier Gleichbehandlung und Menschenrecht herrscht.
Siehe dazu oben.
So einfach ist es selbst mit der neuen Gesetzeslage nicht, denn:
Zitat:Obgleich medizinische Leitlinien keine Indikation mehr für rein kosmetische Operationen vorsehen, legen Studien nahe, dass sie bis Ende 2016 nicht rückläufig waren und weiterhin durchgeführt wurden. Es scheint diesbezüglich an Problembewusstsein zu mangeln; bezeichnend ist insofern die Stellungnahme der Bundesärztekammer, die Vorwürfe nicht "erforderlicher" Eingriffe zurückweist und das Gesetz als unnötige bürokratische Hürde und unangemessenen Eingriff in die ärztliche Berufsfreiheit rügt.
Selbstvertretungsorganisationen beklagen angesichts der mangelnden Einsicht von Mediziner:innen seit langem fehlende Sanktionen.
https://www.lto.de/recht/justiz/j/gesetz...henrechte/
Weiter heißt es dort:
Zitat:Angesichts der Erschwernisse bei der individuellen Rechtsdurchsetzung ist es bedauerlich, dass nicht nur auf Sanktionen (für Ärzte) verzichtet, sondern auch keine Entschädigungsmöglichkeit für vergangene, menschenrechtsverletzende Operationen geregelt wurde, wie sie der VN-Fachausschuss gegen Folter empfohlen hatte.
Das klingt für mich leider nicht so, als ob das alles schon in Ordnung wäre, selbst wenn es mit dem Medizinrecht in Einklang stehen mag. Vielleicht leuchtet in diesem Zusammenhang auch ein, warum man sich beim Ärzteblatt über eine generell niedrige Zahl Intersexueller freuen könnte?
Ich hoffe also, es leuchtet ein, warum ich den Vergleich mit den Impfungen unpassend fand. Diese Kinder hatten nicht die Wahl, es wurde einfach gemacht, du kannst es dir aussuchen.
Dann dazu:
Zitat:Ich habe vor allem den Eindruck, dass Dich das Thema emotional sehr bewegt - eben weil Du Fälle im Bekanntenkreis kennst, denen man anscheinend Unrecht angetan hat. Das verstehe ich durchaus.
Das ist nett von dir. Ich sehe mich aber auch im Recht, hier sauer auf dich zu sein, da du in meinen Augen meinen Freudes- und Bekanntenkreis beleidigst, in dem du ihn als „krank“ (was eine Notwendigkeit der Heilung impliziert, siehe oben) pathologisierst und ihre Probleme in die Nähe der Geisteskrankheit rückst (was dein Vergleich implizierte), was beides nicht der Fall ist.
Zitat:Dass sich durch Abweichungen in der Ausbildung der Geschlechtsorgane etc. massive Probleme für die Betroffenen ergeben können, dürfte auch der Leitgedanke der Mediziner sein, die intersexuelle Menschen als krank bezeichen.
Siehe dazu oben: zumeist unötige Indikation.
Zitat:Daraus aber eine Notwenigkeit für die offizielle Anrede "divers" abzuleiten, will sich mir nach wie vor nicht erschließen. Und das war im Grunde das, was ich dir schon die ganze Zeit zu sagen versuche.
Nein, das sehe ich nicht so. Die Notwendigkeit ergibt sich daraus, dass Menschen geklagt haben, nicht als männlich oder weiblich eingetragen zu werden, weil sie beide Geschlechtsmerkmale in sich tragen. Deshalb heißt es ja auch
intergeschlechtlich. Und deswegen wird die Gruppe divers nicht kleiner, weil die Betroffenen verschiedene Ausprägungen haben, sondern größer, solange sie nicht nur männliche oder weibliche Merkmale besitzen. Deshalb finden sich eben auch verschiedene Personen in dieser Gruppe wieder. Und ja: Wenn es 160.000 Menschen in Deutschland sind, was eine moderate Schätzung ist, ich habe auch höhere Zahlen gesehen, oder aber auch nur 80.000, ist das immer noch 1 Person in 1000 in Deutschland. Für mich wäre das okay, eine Anrede einzuführen. Wie niedrig die Zahl sein muss, damit es nicht mehr okay ist, möchte ich nicht diskutieren.
https://www.spiegel.de/panorama/gesellsc...77436.html
Alle anderen Probleme ergeben sich im Deutschen daraus, dass wir eine Anrede für Männer und Frauen haben und eine Sprache, die ein grammatisches Geschlecht kennt. Sprachen, die das nicht haben, haben hier kein Problem.
Und deshalb halte ich einen solchen Einwand für völligen Unsinn:
Zitat:Denn, um das auf die Spitze zu treiben, wenn jemand nicht schwer krank ist sondern "nur" z.B. eine Schilddrüsen-Unterfunktion hat (und Hormone einnehmen müßte/könnte) , muß man für diese Person eine spezielle Anrede offiziell einführen? - Natürlich nicht.
Das Deutsche markiert grammatisch keine Krankheiten und keine Schilddrüßenunterfunktion.
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Du hast recht, über alles weitere ließe sich wahrscheinlich im Detail ausgiebig streiten. Vor allem auch, was oben "kosmetisch" bedeutet. Da empfehle ich dir wieder Tatsachenberichte.
Ich fände es durchaus schön, wenn wir das im Sinne des Forums nicht tun würden. Eigentlich gehört diese Diskussion nicht hierher. Ich schreibe hier auch nur, weil vorher jemand meinte, dass Forum gerade mit seinem Weltbild zu spammen, was auch andere durchaus so gesehen haben (siehe nur: nokoribetsu). Du kannst aber gern hierauf reagieren und die Punkte aus deiner Sicht bewerten. Ich werde das lesen. Ich werde es aber vorziehen, dann nicht mehr zu kommentieren.
Ich möchte mich aber der Diskussion mit dir deshalb nicht verweigern. Ich glaube einfach, die wichtigsten Punkte sind jetzt so langsam alle gesagt. Wir wiederholen uns ja auch. Ich grüße dich, es war eine anregende Diskussion, auch wenn wir nicht dieselbe Meinung haben.
Thomie
+ dickes Danke an die Moderation. Ich werde mich hier jetzt zurückziehen.