Hallo 梨ノ木,
noch mal danke für deine Reaktion auf meinen Post. Ich versuche, so viel ich Zeit habe, auf deine Punkte einzugehen.
Zitat:Es sind Erhebungen aus Deutschland, und es handelt sich um Eintragungen in deutschen Standesämtern. Ich glaube eher weniger, dass sich jemand in Hamburg darüber Sorgen macht, ob er mit seinem in Deutschland eingetragenen Status in irgendeinem Hinterwäldler-Kaff irgendwo in Europa Probleme bekommen könnte.
Ich habe das etwas anders gemeint:
Ich hoffe, wir sind uns einig darüber, dass man auch in Deutschland schnell Opfer von Gewalt werden kann, wenn man zur Gruppe LGBTQ gehört. Als Beispiel:
https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft...29574.html
Dafür muss ich nicht in ein Kaff nach Polen fahren, das kann ich auch in Berlin haben. Ich überlasse dir gern die Suche nach No-go-Areas, wo ich mich zum Beispiel nicht als Schwuler zeigen darf, habe aber auf die Schnelle von Marzahn, Neukölln oder Wedding gelesen.
Digitale Daten haben natürlich auch das Problem, dass sie alle Zeit lang mal im großen Stil abhandenkommen, sprich: leaken.
Zitat:Das sind keine Zahlenspiele sondern schlicht Fakten. 20 Menschen in Deutschlands 11 größten Städten, die sich weder als weiblich noch als männlich bezeichen/sehen, wollten ihren Status amtlich machen. Der Rest sind Hochrechnungen und Spekulation.
Das sehe ich anders als du, weil ich mir viele gute Gründe ausmalen kann, mit meinem geschlechtlichen Status gerade nicht hausieren zu gehen. Das Stichwort, das mir persönlich dazu einfällt, ist „strukturelle Gefährdungslage“:
https://www.bpb.de/gesellschaft/gender/g...eutschland
Es gibt da ja nun auch andere Zahlen, die du vielleicht kennst. 1 Person in 5000, 0,2 % der Bevölkerung etc.:
https://de.wikipedia.org/wiki/Intersexualität
Der Artikel aus dem Ärzteblatt nennt ja nun eigentlich nur die Zahlen und geht nicht darauf ein, welche Gründe gegen eine Meldung beim Amt sprechen. „Zahlenspiele“ sage ich deshalb, weil es von allen Zahlen, die so herumschwirren, die niedrigsten sind, und das Ärzteblatt auch nur diese Zahlen nennt, eine Dunkelziffer gar nicht erst vermutet usw. (habe den Zeit-Artikel noch nicht lesen können, hole ich nach). Ich stelle mir vor, dass die Wahrheit wohl eher irgendwo dazwischen liegt. Du kannst das jetzt "Spekulation" nennen. Dann ist die Auswahl deiner "Fakten" aber in meinen Augen "selektiv" und für deine Thesen "optimiert", denn es gibt ja auch andere Zahlen, die auch von Fachärzten kommen, zum Beispiel bei Kindergeburten, die deutlich höher ausfallen und die du dann vernachlässigst.
Mit „ungute Marginalisierung“ meine ich: Zu sagen, das betrifft uns alle nicht, weil es eine kleine Randgruppe ist. Und dann zu sagen, dass diese Gruppe eventuell keine Rechtsansprüche hätte, was politisch durchaus immer wieder gemacht wird (Stichwort bei Homosexuellen: gleichgeschlechtliche Ehe vs. eingetragene Lebenspartnerschaft). Und dann eventuell …, und dann könnte man eventuell noch … usw. Da fallen dir bestimmt auch ein paar gute Beispiele ein, in Japan zum Beispiel: burakumin.
Für die betroffene Gruppe im Speziellen gilt, dass sich erst aus der 3. Option der Rechtsanspruch ableitet, nicht von Medizinern bei Geburt „verstümmelt“ zu werden. Richtig verboten ist das auch erst seit Mai 2021 (!). Wie Betroffene dazu stehen, gibt es unter anderem in der Kommentarleiste deines Ärzteblatt-Artikels. Ich hoffe, du kannst ein wenig Empathie für diese Menschen aufbringen.
Zitat:Siehst Du, genau so etwas nervt. Schutzbedürftig sind grundsätzlich alle - wenn es um Menschenwürde und Menschenrechte geht.
Ja, da hast du recht. Dann anders: Minderheiten haben historisch wie aktuell weniger Möglichkeiten, ihren gleichen Anteil an Menschenwürde und Menschenrechten abzubekommen als die Mehrheit der Bevölkerung. Deshalb ist es im Recht entscheidend, dass es für alle gilt, aber auch für die Minderheiten (was oft nicht der Fall ist, siehe oben) und auch für nur 150 und gerade auch für den Einzelnen. So besser?
Ja, so was nervt. Mich nervt aber umgekehrt auch, dass man hier im Forum mit "genderverseucht", "Gendersternchenbenutzer sind alle kacke" u.Ä. durchkommt. Deshalb schreiben wir ja. Ich finde auch, dass wir eine gute Diskussion haben. Wir sind nur nicht einer Meinung bei allem. Und wir sehen mit zwei, drei Posts, dass es doch ein wenig komplexer ist.
Zitat:Es ging um die Frage, ob man für geschätzt ein paar hundert Menschen in Deutschland eine eigene offizielle Anrede einführen sollte. Ich denke nein. Und was wäre, wenn sich diese weder männlich/weiblichen Menschen nicht alle gleich definieren? Wollen wir dann etwa für jede Definitionsvariante eine eigene Anrede?
Ich finde, das ist deine Interpretation des Threads, und ich stimme nur teilweise zu. Es ging um Gendersternchen und Schreibweisen. Das Gendersternchen setzt sich gerade durch, weil es eben alle, die sich unter der männlichen und weiblichen Variante nicht angesprochen fühlen, zusammenfasst. Das Marketing ist da längst weiter (aber vielleicht aus den falschen Gründen), da heißt es meist nur noch „alle Bäuer*innen“ und gemeint sind alle Bauern, Bäuerinnen, divers etc. und alle wissen das auch. Auch bei der Ansprache von Personen gibt es sehr einfache schnelle Lösungen.
Das Gendersternchen hat aber auch eine andere Aufgabe, nämlich auf alle diese Themen, die hier angrenzen und über die wir gerade sprechen, aufmerksam zu machen.
Das tun wir gerade, hat also funktioniert.
Von eventuell gezwungenen Wendungen wie „Gästin“ (gibt es übrigens seit den 1960ern) halte ich, wenn sie gezwungen sind, nichts und von Verordnungen, die einen bestimmten Sprachgebrauch vorschreiben, ebenso wenig.
Wenn jemand das nun aber benutzen und „liebe Forist*innen“ schreiben möchte, verliere ich dadurch in meinem Leben rein gar nichts und ich glaube, das Problem ist dann auch nicht so schlimm, wie es viele machen.