Zitat:Das deutsche Wort "immer" hat auch die beide Bedeutung,("andauernd" und "gewöhnlich")oder?
Das ist ein schwieriges Thema, das mir auch schon oft Kopfzerbrechen bereitete... Nach allem, was mir dazu bisher aufgefallen ist, würde ich sagen: Man kann in manchen Fällen "immer" im Sinne von "gewöhnlich" verwenden, aber dennoch ist "immer" und "gewöhnlich" im Deutschen deutlich öfter klar voneinander unterschieden als im Japanischen.
Prinzipiell gesehen bedeutet "immer" zunächst einmal "in 100% der Fälle" (nicht in 80% oder 90% oder auch 99%, sondern einzig in 100% - eben "immer"). "Gewöhnlich" dagegen bedeutet soviel wie "meistens" - also in (deutlich) mehr als der Hälfte der Fälle, aber eben nicht "immer", d. h. "gewöhnlich" meint zwischen 50% und (max.) 99%, NIEMALS jedoch 100%.
Man KANN in bestimmten Fällen "immer" sagen, obwohl man eigentlich nicht wirklich 100% meint, aber das sind dann Fälle, in denen sich der Hörer/Leser selber denken kann, daß es natürlich nicht 100% der Fälle sein können.
Zum Beispiel eben "Ich bin immer zu Hause" - natürlich bin ich
nicht "immer" (also zu 100%) zu Hause, sondern muß auch einkaufen oder zum Arzt oder oder oder, aber das kann sich der Hörer denken, und deswegen bezieht sich das "immer" auf die restliche Zeit. Hier meint "immer" also nicht wirklich "100% der Zeit", sondern "100% der Zeit, in der ich auch etwas anderes machen könnte, als zu Hause zu sein".
Oder wenn ich sage "Morgens lese ich immer zuerst die Zeitung", dann bedeutet das auch nicht direkt "in 100% aller Fälle", denn natürlich kann es vorkommen, daß ich z. B. einmal verschlafe und dann keine Zeit mehr zum Zeitungslesen habe. Oder es kann sein, daß meine Tochter plötzlich krank wird und ich mit ihr zum Arzt muß, oder es kann sein, daß ich in der Nacht einen Verkehrsunfall hatte und morgens im OP liege - in all diesen (und verschiedenen anderen) Fällen werde ich morgens die Zeitung
nicht lesen können. Aber auch hier gilt wieder: "immer" meint nicht wirklich "100% der Fälle", sondern "100% der Fälle, in denen ich auch die Wahl hätte, etwas anderes zu tun, als die Zeitung zu lesen".
Umgekehrt geht das aber nicht. Ich meine damit: "Gewöhnlich" kann NIEMALS in der Bedeutung von "in 100% der Fälle" gebraucht werden, sondern stets nur in der von "in mehr als der Hälfte, aber in weniger als 100% der Fälle".
Wenn ich z. B. sagen würde "Auf einem Planeten mit positiver Gravitation fällt ein Stein
gewöhnlich in Richtung Oberfläche", dann wäre das inhaltlich äußerst merkwürdig. Hier paßt nur ein Wort, das den Bedeutungsinhalt von "in 100% der Fälle" trägt, also z. B. "immer", "stets" usw.
Im Japanischen dagegen scheinen mir solche Wörter wie "itsumo", "tsune ni" usw. dagegen stets ambivalent zu sein, also die Bedeutungen von "immer" und "gewöhnlich" gleichzeitig zu verkörpern... Das ist beim Übersetzen manchmal recht knifflig, weil man im Deutschen da oft präziser sein muß.
Manchmal ist das Problem nicht ganz so groß, und zwar immer dann, wenn es sich um Fakten/Tatsachen handelt, die objektiv gültig sind (in denen also die persönliche Auffassung des Autors keine Rolle spielt): Wenn ich z. B. den Satz mit dem Stein, der nach unten fällt, aus dem Japanischen übersetzen müßte, dann hätte ich kein Problem damit, weil es ein Naturgesetz ist, daß der Stein unter den gegebenen Bedingungen
in 100% der Fälle nach unten fällt und somit ein im Japanischen stehendes "tsune ni" im Deutschen keinesfalls mit "gewöhnlich" übersetzt werden darf, sondern nur mit "immer" o. ä.
Aber wenn der Satz z. B. lautet: "Jouhou ha tsune ni hirogaru keikou wo motsu", dann wird es knifflig. (Der Satz ist das jüngste Beispiel, an dem ich zu diesem Thema rätselte.) Über das Sich-Ausbreiten von Informationen gibt es meines Wissens kein Naturgesetz, und ob der Autor nun sagen will, daß Informationen
immer (= in 100% der Fälle) die Tendenz haben, sich auszubreiten, oder ob diese Tendenz "nur"
für gewöhnlich (= in weniger als 100% der Fälle) besteht, weiß ich nicht... Wenn ich in diesem Satz "tsune ni" mit "immer" übersetze, versteht der deutsche Leser "in 100% der Fälle"; übersetze ich dagegen mit "für gewöhnlich", denkt der deutsche Leser "normalerweise schon (aber eben nicht immer)".
Der deutsche Übersetzer muß sich hier für eines entscheiden, d. h. die deutsche Sprache zwingt ihn zu disambiguieren (= eine Sache, die in der Ausgangssprache zweideutig ist, zu präzisieren). Aber das ist schwierig, denn man weiß nicht recht, was der Autor des japanischen Satzes wirklich meint - ob "immer" oder "für gewöhnlich". Der japanische Muttersprachler, der den Satz liest, wird es mir wohl auch kaum ganz klar sagen können, oder?