(19.11.14 19:33)torquato schrieb: Aber Firithfenion, erzähl doch mal. Wann bist Du aufgrund welcher Nachrichten los? Zu welcher Grenzstelle? Was hast Du gemacht, etc.? Mich würde das sehr interessieren.
Also ich war auf Arbeit und hatte Nachtschicht. Natürlich wurde Radio gehört und wie immer in der Nachtschicht, wenn keine Anscheißer mehr da sind, wurde "Westradio" gehört. Dort wurde über die Presekonferenz berichtet und einige Zeit später darüber das sich vor einigen Grenzübergängen Menschenmengen gebildet hätten. Dann hörte man davon das es einige wohl irgendwie geschafft hatten durchgelassen zu werden und jetzt drüben in den Kneipen und auf den Straßen feierten.
Ich spürte das sich etwas ganz aussergewöhnliches ereignete. Es war aber schon Wochen vorher klar, das sich irgendetwas ereignen würde. Spätestens mit dem Rücktritt von Erich Honnecker und der großen Massendemonstration auf dem Alexanderplatz eine Woche vorher (bei der ich ebenfalls anwesend war) war mir klar, dass das Eis gebrochen war und es niemals mehr so werden würde wie zuvor.
Kurz gesagt, ich glaubte schon den Radioberichten das es einige "rübergeschafft" hatten aber ich konnte mir nicht vorstellen, das die nun wirklich JEDEN der wollte noch diese Nacht rüberlassen würden.
Gegen Mitternacht kam dann ein Kollege der ein Auto (Wartburg) besaß und Feierabend hatte uns mit das er jetzt gleich mal losfährt sich das anschauen. Ich hätte noch bis 4.00 Uhr arbeiten müssen aber mein Schichtleiter schaute mich an und meinte nur: "Ich sehe wie aufgeregt du bist, steig ein und fahr mit, wenn irgendeine Nachfrage kommt ich nehm's auf meine Kappe und sag ich hätte dich nach Hause geschickt weil dir schlecht geworden ist. Solltet ihr es bis nach drüben schaffen, ruft doch einfach mal hier an und lasst es mich wissen, ich hab noch nie einen Anfruf aus dem Westen erhalten..."
Ich fuhr also mit dem Kollegen und einem weiteren Kollegen mit. Das Auto stellte er am Bahnhof Friedrichstraße ab weil er doch irgendwie Sorgen hatte, das Auto könnte in dem Gemenge und der Aufregung beschädigt werden. Vom Bahnhof Friedrichstraße fuhren wir mit der S-Bahn irgendwie bis zum Kurfürstendamm. Ich sage "irgendwie" weil wir als DDR Bürger ja überhaupt keinen richtigen Plan von der Geografie Westberlins hatten. Westberlin war auf dem DDR Schulatlas so weiß wie die Antarktis mit der Aufschrift "besonderes politisches Gebiet Westberlin". Stadtpläne Westberlins gab es in der DDR selbstverständlich nicht. Wir folgten aber einfach den Menschenmassen und fanden uns dann tatsächlich in Westberlin am Kurfürstendamm wieder.
Der Übergang durch die Kontrollstellen war übrigends ganz problemlos. Als bekennender Skeptizist glaubte ich bis zuletzt das man uns zurück schicken würde, aber die Schlange schob einfach weiter und ein paar völlig apathische, desorientierte und mit geistesabwesenden Blick dreinschauende Kontrollposten knallten uns nur einen Stempel in den Ausweis und liessen uns durch. Erst Jahre später erfurh ich, das dieser Stempel eigentlich die Ausbürgerung bedeuten sollte.
Am Kurfürstendamm bummelten wir dann wie im Traum entlang, bewunderten die schönen Autos im Schaufenster eines Autohauses, (ich bewunderte auch die schönen Nutten) und viele andere schöne Sachen die man bisher nur aus dem Fernsehen kannte. Ich erbettelte mir bei einem Westberliner ein paar Groschen mit denen ich meinen Schichtleiter den erwünschten Anruf aus Westberlin zuteil werden liess und ihm unser erfolgreiches Überqueren der Grenze mitteilte. Dann kaufte ich mir noch die Morgenausgabe der Westberliner BZ mit der Riesenschlagzeile "DIE MAUER IST WEG!" und wir machten usn wieder auf den Heimweg.
Wegen des prekären Wohnungsmangels in der DDR wohnte ich damals noch bei meinen Eltern und ich war ungefähr um die Zeit zuhause, wo auch meine Schicht offiziell beendet gewesen wäre. Meine Eltern waren schon wach und glaubte ich wüsste von nichts und sie könnten mich damit überraschen. "Weisst du schon das neueste, fragte meine Mutter, "die Mauer ist weg!".
Ja, sagte ich, und schaut mal, ich habe euch schon die Morgenzeitung aus Westberlin mitgebracht.... da klappten meinen Eltern wiedrum die Kinnladen vor Erstaunen herunter....
Ja es war schon eine aufregende Zeit, ganz ohne Frage.