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Todesursache Nr. 1 unter jungen Japanern: Suizid
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Hachiko
Gast

 
Beitrag #1
Todesursache Nr. 1 unter jungen Japanern: Suizid
Ich las gerade in einem Artikel des Deutschen Ärzteblattes, dass die Todesursache Nr. 1 unter Japanern im Alter von 15-35 Jahren der Suizid ist, meist sind Depressionen der Auslöser für diesen Entschluß.
Diese Bilanz ist erschreckend und da stellt sich die Frage, was eigentlich der Auslöser für denselben sein mag. Einige Thesen behaupten, er sei genetisch bedingt , andere hingegen, es liege an der unnachgiebigen Tradition des Bushido.
Weiss hier jemand so viel über Japan und seine Kultur, als dass er dies beantworten könnte.
03.06.14 19:02
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Woa de Lodela


Beiträge: 1.539
Beitrag #2
RE: Todesursache Nr. 1 unter jungen Japanern: Suizid
Genetisch? Glaube ich nicht. Ich denke eher, dass das etwas mit den Lebensumständen zu tun hat (viel Druck, Angst, hoher Sozialstress).
03.06.14 19:08
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Hachiko
Gast

 
Beitrag #3
RE: Todesursache Nr. 1 unter jungen Japanern: Suizid
(03.06.14 19:08)Woa de Lodela schrieb:  Genetisch? Glaube ich nicht. Ich denke eher, dass das etwas mit den Lebensumständen zu tun hat (viel Druck, Angst, hoher Sozialstress).

Kürzlich erfuhr ich, dass ein japanischer Freund, von dem ich länger nichts gehört hatte, sich in jungen Jahren das Leben
genommen hat, obwohl es ihm an nichts mangelte, gesicherter sozialer Status, finanziell gut gepolstert, Erfolg im Beruf, allerdings
unstet in seinem Eheleben und 2x geschieden.
Seine Schwester bemerkte, dass er schon als Kind einen Hang zur Melancholie hatte, die durch die Strenge seiner ihn traditionell japanisch
erziehenden Großmutter verstärkt wurde, also in diesem Fall doch eine Symbiose von Veranlagung und Erziehung.
03.06.14 20:24
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Nanimo


Beiträge: 50
Beitrag #4
RE: Todesursache Nr. 1 unter jungen Japanern: Suizid
Aber Erziehung ist nicht gleich Genetik.
Ich bin ebenfalls der Meinung, dass so etwas nicht genetisch bedingt ist. Klar, es kann Voreinflüsse geben, wie, dass sich z.B. schon einmal ein Familienmitglied umgebracht hat. Aber das hat mit der Genetik gar nichts zu tun. Denn würde ein Elternteil auch so eine Veranlagung haben, dann hätte es sich ja sicherlich schon vor einer möglichen Zeugung umgebracht.
Zumindest finde ich das logisch. Denn wenn meine dritte Ehe zu zerbrechen drohen würde, dann würde ich auch irgendwo am Verzweifeln sein, um jetzt mal das Beispiel deines Freundes zu nehmen.
Suizidgefahr in den Genen ist eine absolut lebenswidrige Tatsache, die, denke ich, in uns nicht vorhanden sein kann - aus dem simplen Grund, dass Menschen leben wollen. Selbst wenn man sich umbringen will, hat man Angst vor dem Tod.

じゃね。
Nanimo

The right to be stupid belongs to the guarantee of the free development of personality.
03.06.14 20:55
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Yano


Beiträge: 2.920
Beitrag #5
RE: Todesursache Nr. 1 unter jungen Japanern: Suizid
Zwar habe ich keine methodologisch belastbare Statistiken erhoben, aber im Rückblick auf Jahrzehnte empirischer Beobachtung im Kreise meiner Kontaktpersonen meine ich einen großen Unterschied in der Suizidalität zwischen J und D nicht zu erkennen. Weder bei Bilanz-Suiziden noch bei jugendlichen, die oft so unverständlich sind. Selbstmord ist etwa so häufig wie Tod durch Verkehrsunfall oder Sportunfall, und bis zum Alter von 40 wie Krankheit. Schreitet das Alter fort, überwiegt Krankheit in J wie in D.
Natürlich ist jedes Schicksal ein Einzelschicksal, und man kann aus Tatsachen der Kindheitsgeschichte, und seien sie auch nur eingebildet, alle möglichen Mutmaßungen folgern, aber trotzdem ist jeder seines Glückes Schmied, und das heißt auf Neudeutsch "Resilienz". Dieses Wort bezeichnet die seit Jahrtausenden bekannte aber jetzt neu entdeckte Tatsache, daß auch nach einer verkorksten Kindheit und unter ungünstigen Bedingungen die meisten anständig bleibend ein einigermaßen glückliches Leben führen.
03.06.14 21:10
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Hachiko
Gast

 
Beitrag #6
RE: Todesursache Nr. 1 unter jungen Japanern: Suizid
Ich wills ja nicht unbedingt besser wissen, aber gemäss einer Studie des MPI für Psychiatrie in München machen einige
Varianten im Gen den Menschen durchaus für Suizide anfällig. Die Genträger sind auch dann gefährdet, wenn sie nicht
unter Depressionen leiden.
Interessant wäre hier zu wissen, weshalb so viele Japaner den Suizid als letzte Instanz wählen. Meiner Kenntnis zufolge
wird in Japan das Thema wissenschaftlich gar nicht behandelt, bleibt nach wie vor tabu.

@Yano
In Japan scheiden viel mehr Menschen freiwillig aus dem Leben als in Deutschland, vor allem junge, gesunde Leute,
wohingegen hier Senioren aus Angst vor Armut, Vereinsamung und Krankheit auf diese Art Abschied von demselben nehmen.
03.06.14 21:36
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nekorunyan


Beiträge: 438
Beitrag #7
RE: Todesursache Nr. 1 unter jungen Japanern: Suizid
Wir leben in einer Kultur mit christlich geprägten Wertvorstellungen. Selbstmord galt für Ewigkeiten als schwere Sünde. In Japan hatte er hingegen einen anderen, ehrvolleren Stellenwert, auch wenn sich das heutzutage gleichermaßen relativiert haben dürfte. Wir empfinden Suizid bei Nahestehenden als eine schlimme Tragödie, bei der wir uns auch vorwurfsvoll fragen, ob wir nicht irgendwie hätten helfen können. Ich denke mal, das ist sowohl in Deutschland als auch Japan gleich.
Was anders ist, sind die sozialen Umstände. Der "gesellschaftliche Druck", wie schon erwähnt. Überforderte Menschen, die sich in einem strarren System voller Vorschriften finden. Familienväter, die nach einer Kündigung gleich Suizid in Betracht ziehen, damit die Familie von der Lebensversicherung leben kann. Soll's ja alles geben.
An sich gibt es auch weniger Anlaufstellen für psychatrische Hilfe in Japan. Und die Leute reden auch untereinander nicht so über ihre Probleme. Man will halt niemanden belasten und behält lieber alles für sich, bis es irgendwann zu viel ist.

♫ くちびるから星がこぼれ夜空に潜り込んだら 閉じ込めてた言葉たちを広げて羽に変えるのさ ♫
03.06.14 23:08
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Kasu


Beiträge: 379
Beitrag #8
RE: Todesursache Nr. 1 unter jungen Japanern: Suizid
Ich meine auch, mal gelesen zu haben, dass in nicht-christlichen Kulturen Suizid öfter vorkommt, weil er einfach nicht so sündenbesetzt ist.
Gleichzeitig gibt es in Kulturen, die nicht christlich geprägt sind, aber auch weniger solche Seelsorge-Stellen, wie das in Deutschland zum Beispiel die Caritas macht.
04.06.14 06:05
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Woa de Lodela


Beiträge: 1.539
Beitrag #9
RE: Todesursache Nr. 1 unter jungen Japanern: Suizid
Ich meine auch, dass es in J nicht so normal ist, zu sagen: "Mir geht es nicht gut, ich brauche Hilfe." Und natürlich gibt es Kulturen, in denen Selbstmord verbreiteter ist, als in anderen. Meine erste Japanischlehrerin hat mal gesagt, dass sie mit 16 "keine Zeit für einen Freund" hatte, weil sie immer nur lernen musste. Fand ich damals zumindest sehr ungewöhnlich.

Depressionen werden in Japan (ursprünglich von der Pharmaindustrie) auch als 心の風邪 (Erkältung der Seele) bezeichnet, damit man kein schlechtes Gewissen hat, zum Arzt zu gehen und sich Antidepressiva geben zu lassen. Für eine Erkältung kann man ja nichts. (Für eine Depression auch nicht, auch wenn jeder seines Glückes Schmied ist, wie Yano herausgefunden hat.)
04.06.14 08:50
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Yano


Beiträge: 2.920
Beitrag #10
RE: Todesursache Nr. 1 unter jungen Japanern: Suizid
Da in D wie in J die liberale Verabreichung von Antidepresiva eine Zeiterscheinung ist, die vor kurzem eingesetzt hat, müßte deren Auswirkung auf die Fallzahlen trennscharf erkennbbar sein.
Ich weiß das nicht, die Medien haben es jedenfalls nicht so verkündet, daß ich es bemerkt hätte.
Übrigens ist in J früher die Abgabe hochwirksamer Medikamente so liberal gehandhabt worden wie es für ein Entwicklungsland typisch wäre. Den Begriff 保健薬 (verschreibungspflichtig) habe ich erst vor etwa 10 Jahren gelernt. Es sind in J also Antidepressiva, so es sie denn damals schon gab (weiß ich nicht) zuerst jedermann wie Bonbons zugänglich gewesen, wurden dann rezeptpflichtig aber restriktiv, seit kurzem jedoch großzügig verschrieben.
04.06.14 14:44
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Todesursache Nr. 1 unter jungen Japanern: Suizid
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