@Gast2
Ich werde es bestimmt bereuen, aber ich sag´s trotzdem
Mir gefallen beide Haiku.
Warum?
Das "Müll"-Gedicht ist echt - echt in der Aussage (es drückt genau das aus, was der Verfasser gemeint hat) und echt subversiv, weil es - noch dazu bei genauer Beachtung der Haiku-Regeln - alles, was zumindest ich an Haiku kenne, ad absurdum führt. Und damit hat es auch eine echte literarische Qualität, es ist was ganz Eigenständiges. Und... sehr deutsch.
Und das "Staub"-Gedicht gibt ein richtig schönes, klassisches Haiku ab. Ach ja, der Staub, der vergängliche, die schwebende Welt, der Traum in einem Traum...
Allerdings ist es ein völlig anderes Gedicht und sagt was völlig anderes aus. Und wurde im Grunde von der Meisterin verfaßt, denn dieses eine Wort macht tatsächlich ein ganz anderes Gedicht daraus.
So, und ehe ich gesteinigt werde, möchte ich gern an einem Beispiel illustrieren, was ich mit "sehr deutsch" meine und wie ich überhaupt dazu komme, sowas zu sagen.
Ich toure seit ca. 10 Jahren durch die Mittelalter-Szene (wem das nichts sagt: das sind so Leute, die sich wie mittelalterliche Ritter, Handwerker, Hofdamen etc. anziehen und so gewandet Bankette abhalten, Turniere und Märkte veranstalten und was dergleichen Zeitvertreibe mehr sind. Teils privat und unter sich, teils öffentlich, mal kommerziell, mal nicht.) 4 Jahre lang war ich in einem von Amerikanern gegründeten Verein, der SCA (Society for Creative Anachronism), die ihrem Namen wirklich alle Ehre machte, denn die Amis lieben mittelalterliche Prunkklamotte, wo man vor lauter Glitzerfunkel blind wird, und haben keinerlei Skrupel, unter ihrer Ratsherrentunika Turnschuhe zu tragen - oder beim Bankett neben dem knisternden Kerzenleuchter eine Plastikkanne mit grünlicher Flüssigkeit (Fanta Limette) abzustellen. WAAAH! Es gab auch Leute, die sich bemühten, nur Zeug zu verwenden, was die Atmosphäre nicht so störte, aber nach ein paar Jahren fand ich dann doch, daß es diesen Typen irgendwie an Problembewußtsein mangelte (sic!)
Ich war dann in einer Reihe deutscher Vereine - die sich endlos darum stritten, wie denn mittelalterliche Unterwäsche korrekterweise auszusehen habe und ob Zeltheizungen in kalten Aprilnächten eigentlich gesinnungsgerecht sind - so eine richtig fette Erkältung wäre doch viel authenischer, denn damals hatte man eben keine Heizung, wenn man im Zelt schlief! Das war mir dann entschieden zuviel Problembewußtsein, und ich fand, daß es in der SCA doch irgendwie viel unterhaltsamer gewesen war. Aber eins habe ich dabei gelernt: nämlich daß Spaß eine ernste Sache ist! Vor allem in Deutschland.
Oh ja, ich glaube, wir müssen alle was für die Umwelt tun. Sogar ganz dringend! Und den Japanern würde das bestimmt auch nicht schaden (von Japan ganz zu schweigen). Aber ich möchte auch nicht alle Haiku in dieser Welt ächten, die von Staub und verblühenden Rosen reden, denn auch Vergänglichkeit und Sterben sind Themen, die für Menschen wichtig sind und die sie ja tatsächlich auch was angehen. Und abgesehen davon mag ich Gedichte, wenn sie mir etwas sagen und wenn sie gut sind - ganz egal, ob mir der Inhalt nun in den Kram paßt, zu problembewußt oder nicht problembewußt genug ist. Sicher müssen Probleme gelöst werden, aber wenn ab sofort alle Poesie verbannt würde, wüßte ich nicht, wozu ich sie eigentlich lösen soll.