@ Filter, Ihre sämtlichen Fragen werden in der Tat meines Erachtens durch die einleitenden Seiten der Leseprobe und meine Verweise in den vorangegangenen Posts beantwortet. Bitte sehen Sie mir daher nach, daß ich hier nicht wieder vollständig von vorne anfangen kann. Trotzdem gehe ich selbstverständlich auf Ihre Kritik ein, denn was sonst wäre der Sinn eines online-Forums? Das mögen mir bitte wiederum die anderen nachsehen. Sie kennen alles, was jetzt folgt.
Warum wird die
Heisig-Methode nicht an japanischen Schulen angewandt? Nun, partiell wird sie das ja, sozusagen. Denn ein japanisches Kind kennt natürlich bereits die japanischen Wörter für Tag, Katze und Baum, bevor es die Kanji dafür erlernt. Ebenso, wie eine Chinesin andersherum bereits (chinesische) Wörter für die Zeichen kennt, dann aber die japanischen Wörter dafür erlernen muß.
Auch Sie kennen ein Wort für Baum, nämlich "Baum" (welches übrigens nicht nur ein lautliches Wort, sondern auch ein Schriftzeichen ist, weil Ihr Gehirn B-a-u-m auch am Aussehen der Buchstabenfolge erkennt; und auch Sie konnten es zuerst aussprechen, bevor Sie das "Zeichen" schreiben lernten). Und weil Sie dieses Wort schon sehr lange kennen, ergibt es sehr viel Sinn, erst einmal das bekannte deutsche lautliche Wort mit dem Zeichen zu verknüpfen (Band 1). Insofern ahmt die Methode das natürliche Lernen nach.
Die Primitivelemente erleichtern Ihnen dabei den Umstand, daß Ihnen die Zeichen, anders als den Japanern, nicht ständig im Alltag begegnen, und Sie sich die Schreibweise daher nur viel schwerer einprägen können. Dadurch, daß die Elemente und die sie verbindenden Erzählungen eben bisweilen skurril oder übertrieben sind, kommen sie der Tendenz des Gehirns nach, Außergewöhnliches zu behalten, Unauffälliges jedoch schnell zu vergessen.
Später dann, bei der Arbeit mit Band 2, verbinden Sie das erlernte Zeichen mit den (sino-/)japanischen Lesungen. Dieser explizite zweite Schritt findet in dieser Form für Japaner natürlich nicht statt (Sie kennen stattdessen sicher z.B. die Lesehilfen in Kana für kleine Japaner). Das anfänglich verknüpfte deutsche Wort verblaßt nach und nach hinter den (sino-/)japanischen Lesungen.
Die Methode von "Die Kanji lernen und behalten" liegt also eigentlich in der vorübergehenden Einführung einer "Doitsu-Yomi", wenn Sie so wollen, als wechselnder Brücke zum jeweils noch Unbekannten. Daß eine solche "deutsche Lesung" auch beim Erlernen von Komposita eine große Erleichterung darstellen kann, sei hier nur am Rande erwähnt. Wenn es nicht so sehr darauf ankäme, daß Sie die deutschen Begriffe schon perfekt beherrschen - soll heißen: ein genaues Konzept mit ihnen verbinden -, dann wäre eine Übertragung des Buches ins Deutsche überflüssig gewesen, und alle könnten mit dem englischen Buch lernen. Es kommt aber eben gerade darauf an, daß Sie den, oder wenigstens einen, im Zeichen verkörperten Sinn bereits möglichst genau erfassen. Das ist meines Erachtens regelmäßig nur in der Muttersprache möglich.
(Interessant wäre also z.B. die Frage, wie Sie einem japanischen Kind das Zeichen für Hund beibringen wollten, wenn es überhaupt nicht wüßte, was ein Hund ist, sprich: kein Wort dafür kennen würde. In einer ähnlichen Lage sind Sie, wenn Sie versuchen, ein unbekanntes Kanji anhand seiner japanischen Lesung und seines Komposita-Kontextes auswendig zu lernen.)
Aber auch das alles wird in den erwähnten Materialien, sowie natürlich in Band 2, erörtert. Natürlich gehört das Studium von Band 2 dazu.
Sie hatten auch für mein Verständnis nach einer wissenschaftlichen Arbeit gefragt, welche die Methode untersucht. Eine empirische Studie über das Erlernen der Kanji ist mir nicht bekannt. Ich wüßte auch nicht, wer eine solche Studie unternehmen wollte.
Ich möchte hinsichtlich der Empirie die Gegenprobe formulieren: Wie viele Deutschsprachige kennen Sie, die die Jouyou-Kanji in der Weise gelernt haben, auf die japanische Schulkinder es tun? Und zwar außerhalb des kulturellen Kontextes, sprich: Japans. Und das vielleicht noch in weniger als neun Jahren, denn die Schulzeit dürfte für die meisten Sprachlernenden vorbei sein. Eine empirische Studie darüber, wie viele Menschen erfolglos versucht haben, die Kanji zugleich in Bedeutung, Schreibweise, Lesungen und Verwendung in Komposita von einer Liste auswendig zu lernen, bevor sie schließlich aufgaben, fiele meiner Vermutung nach verheerend aus. Dies umso mehr, wenn die Lernenden "nebenbei" eine Berufstätigkeit oder ein fachlich anders gelagertes Studium bewerkstelligen mußten.
Ich persönlich kenne eine ganze Reihe von Menschen, denen das so gegangen ist. Vom Kommilitonen mit brillantem juristischen Examen bis hin zum Hochschullehrer habe ich immer wieder eine Aussage gehört: "Ich wollte Japanisch lernen, aber das mit den Zeichen, da habe ich irgendwann aufgegeben." Das liegt nun auch in niemandes Interesse. Sollen die großen asiatischen Sprachen ein Mysterium für alle außer dedizierten Schriftkundlern bleiben? Das glaube ich nicht, und wenn der Preis für die Demokratisierung von Schriftkenntnissen der (zumindest vorübergehende) Verzicht auf Purismus ist, dann halte ich persönlich ihn für mehr als angemessen.
Zum
Erlernen und Behalten der Kanji kenne ich persönlich keine bessere, und auch keine erfolgreichere Methode als die
Heisig'sche. Das dürfte natürlich kaum überraschen, weswegen ich dem von mir bereits Gesagten nun auch nichts mehr hinzuzufügen habe.
Ich beantworte, sofern ich kann, gerne Fragen, die vielleicht individuell nach dem Studium des Buches und der Internet-Seiten noch offen bleiben mögen. Bitte informieren Sie sich über den tatsächlichen Inhalt des Buches (sowie vorzugsweise auch von Band 2). Die ersten 100 Seiten befinden sich als Leseprobe im Internet (
http://www.kanji-lernen.de). Die Site enthält auch viele weitere Informationen. Es ist auch eine Adresse angegeben, unter der mir Fragen, Anregungen und Kritik per email zugesandt werden können. Kritik an den Büchern ist immer willkommen! Es erleichtert eine Antwort allerdings, wenn dies auf der Grundlage des tatsächlichen Buchinhalts geschieht.
Verunglimpfungen sind meines Erachtens nicht nur gänzlich unangebracht, sondern nicht zuletzt eine Respektlosigkeit gegenüber allen Forumsteilnehmern. Dermaßen ruppig sollte es doch bei etwas so Schönem wie dem Erlernen der Schriftzeichen auch gar nicht zugehen. Mehr wollte ich mir gar nicht erlauben zu sagen.
Ihnen allen weiterhin von Herzen viel Spaß und Erfolg!
Mit freundlichen Grüßen
Robert Rauther