Beitrag #1
Gut und Böse
Interessante Sendung heute morgen gehört im SWR 2 Hörfunkprogramm. Ein Radio-Essay mit dem Titel Götter, Pokemons und das Böse, Über das Verhältnis von Gut und Böse in der japanischen Kinderwelt, von Mari Furukawa. Leider habe ich keinen direkten Podcast-Link gefunden, obwohl es einen geben müsste. Immerhin kann man auf der Seite rechts oben das Manuskript zu der Sendung komplett herunterladen und lesen.
Der ganze Aufsatz ist lesenswert. Hier nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Manuskript, der in etwa die Quintessenz enthält und viel zum Verständnis japanischer Mentalität und Kultur beitragen kann:
Zitat: Dass das Böse durch vertrauensvolles Handeln ins Gute verwandelt werden muss, ist die Kernaussage vieler Märchen. Im Gegensatz zu den Völkern auf dem eurasischen Kontinent haben sich die Japaner wahrscheinlich, durch die Insellage geschützt, im Laufe ihrer Geschichte ganz lange, eigentlich bis ins tief ins 19.Jahrhundert hinein - keine Vorstellung davon machen können, wie es ist, von fremden Wesen bedroht zu werden, die nur Grausamkeit, Verderben, Tod und vor allem Haß bringen; die eine andere Sprache sprechen und die auf Kosten anderer ihren Lebensraum erweitern wollen, die bewusst jegliche Kommunikation und Mitgefühl verweigern.
Denkt man aber an all die blutigen Konflikte, die durch den Zusammenstoss mit den Hunnen, Tataren, Wikinger und sonstigen Völker verursacht wurden, an all die Erfahrungen von Hass und Leid, die die Menschen auf dem eurasischen Kontinent miteinander gemacht haben, dann ist es für mich einleuchtend.
Die Vorstellung, der Mensch stünde zwischen Gut und Böse und habe die Wahl, sich entweder auf die eine oder andere Seite zu schlagen, ist wohl eine Erinnerung an die historische Ur-Erfahrung, die aus solchen traumatischen Begenungen resultiert, genauso wie die Angst, dass das Böse erst dann Ruhe geben könnte, wenn es ausgemerzt ist.
Auf einer von außen schlecht zugänglichen Insel wie Japan fehlen hingegen die Voraussetzungen für diese Ideologie. Die kulturellen und sprachlichen Unterschiede sind selbst zwischen rivalisierenden Menschengruppen nicht so groß, dass man sich nicht untereinander hätte verständigen können.
Dafür war auf dem Kontinent die Natur eher stabil, sie konnte idealisiert werden als ein Zeichen göttlicher Ordnung, die von den Menschen und den bösen Mächten immer wieder gestört wird.
In Japan war es wohl eher umgekehrt. Man wird seit Menschengedenken so häufig von verheerenden Naturkatastrophen heimgesucht, dass sich die Frage, ob dies eine himmlische Bestrafung irgendwelcher Sünden sei, gar nicht erst stellen konnte. Eine Reaktion wie nach dem Erdbeben von Lissabon im Jahr 1755 – als alle Welt erschüttert war und noch Jahrzehnte später über den Sinn einer solchen Katastrophe nachdachte- ist nicht möglich, wenn die Erde alle paar Tage spürbar bebt, wenn man weiß, dass jederzeit aus heiterem Himmel irgendein verheerender Tsunami über den Pazifik hereinbrechen kann, der ganze Landstriche zerstört; wenn man täglich in der Nähe rauchender Vulkane lebt, die alle paar Jahre Feuer und Asche speien.
Für das japanische Verständnis ist die Natur zu jeder Zeit weder gut noch böse, sondern einfach nur schön, fruchtbar und furchtbar zugleich, vor allem unberechenbar. Erdbeben, Tsunamis, Taifune, die die Lebenswelt alle paar Monate grundlos und vollkommen zerstören konnten, gehören seit eh und je zur alltäglichen Elementarerfahrung. Man kann sich als Mensch mehr schlecht als recht dagegen schützen, - kontrollieren kann man diese Erscheinungen nicht. In so einer Umwelt kommt es vor allem auf die Solidarität unter den Menschen an, die sich gegenseitig helfen. Ein Mensch, der sich asozial verhält, gefährdet sich in solch einer Umgebung vor allem selbst, bevor er eine Gefahr für das Kollektiv darstellt.
Ich frage mich indes: Ist das Denken in "Gut-und-Böse-Kategorien" Japanern wirklich so fremd? Und: Wie stark wird japanisches Denken in dieser Hinsicht heute durch westlichen Einfluss überlagert?
正義の味方
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