Ich schulde euch noch einen kleinen Bericht über meinen Sommer-Intensivkurs an der
Kai Japanese Language School in Tōkyō. Ich habe dort in den ersten 3 Wochen im August an einem Kurs teilgenommen, der auf den JLPT Stufe 1 vorbereiten soll.
Als erstes muss ich feststellen, dass ich rundum zufrieden bin mit dem Kurs, und dass es sich wirklich gelohnt hat, etwas Geld und einen großen Teil meines Jahresurlaubs dafür zu opfern. Meine Aussagen gelten natürlich nur für den Sommerkurs, ich kann nichts über die normalen Kurse sagen. Die Schule machte aber insgesamt einen seriösen und ehrenwerten Eindruck auf mich. Die Räumlichkeiten im 2. und 3. Stock eines typischen japanischen Bürogebäudes sind weder besonders schick noch neu. Aber sie sind zweckmäßig und nach ein paar Tagen fand ich sie doch auf eine gewisse Art gemütlich. Hinter der Rezeption, die gleichzeitig auch ein kleiner Aufenthaltsraum ist, schaut man immer in die Arbeitsplätze der Mitarbeiter der Schule hinein und bekommt gelegentlich ein freundliches Lächeln von Ihnen geschenkt. Ich habe diesen Raum jeden Morgen mit einem sehr angenehmen Gefühl betreten, um von dort zu meinem Klassenzimmer zu gelangen.
Ich glaube, dass Niveau jeder Schule steht und fällt mit der Qualität und dem Charisma der Lehrer, die hier arbeiten. Die Studenten aus anderen Kursen, die ich so auf dem Flur gesprochen habe, waren ausnahmslos sehr zufrieden mit ihren Lehrern. Meinen 3-wöchigen Sommerkurs, jeweils Mo-Fr von 9-13 Uhr, haben sich 2 Lehrer geteilt, von denen ich nur Gutes erzählen kann. Sie waren sehr unterschiedlich, ein Mann und eine Frau, das hat sich schön ergänzt. Er: auf den ersten Eindruck nicht besonders munter, wenn er jedoch warm wurde und die Sachen auf den entscheidenden Punkt zuliefen dann doch sehr rege, und in jedem Fall sehr kompetent. Ich kann mir niemanden vorstellen, der genauer Bescheid weiß, was in den letzten Jahren im JLPT 1 vorkam. Sie: temperamentvoll, gelegentlich ein paar Meter vor ihrem Lehrertisch die letzten Nuancen einer grammatischen Phrase mit großen Gesten und Beispielen verdeutlichend. Ich werde die Sachen, die sie da vorne erklärt hat, besonders lebhaft in Erinnerung behalten.
Zum Stoff meines Kurses. Mit dem JLPT ist ja ein klares Ziel vorgegeben und so war der Stoff, wie ich gehofft hatte, auch zielgerichtet auf den Test zugeschnitten. In der ersten Stunde wurde uns klipp und klar gesagt, dass wir hier nicht unsere allgemeine Kompetenz, Japanisch zu sprechen und zu verstehen, erweitern werden (dafür gibt es an dieser Schule andere Kurse auf verschiedenen Leveln), sondern in erster Linie
Wissen pauken werden, das in diesem Test abgefragt wird, und Techniken, die den Test erleichtern. Es gäbe angeblich Leute, die ziemlich gut Japanisch sprechen und verstehen, aber diesen Test nicht schaffen können, und umgekehrt Leute, die diesen Test geschafft haben, aber in Wirklichkeit Japanisch kaum sprechen können.
Die Lehrer wussten den Stoff sehr strukturiert an uns heranzubringen. Der Ablauf des Unterrichts war täglich gleich und entsprach schon ungefähr dem Ablauf des Tests. Zuerst 40 Minuten Zeichen- und Wortschatz, dann 30 Minuten Hörverständnis, dann 60 Minuten Grammatik, und schließlich 70 Minuten Leseverständnis. Die Zeiten haben nach Bedarf etwas variiert, dazwischen gab es nur relativ kurze Pausen von ca. 5 Minuten. Nur am ersten, zehnten, und den beiden letzten Tagen des Kurses war der Ablauf anders, weil wir da Tests geschrieben haben, die den Fortschritt dokumentieren sollten, den wir im Kurs gemacht haben. An den beiden letzten Tagen haben wir einen kompletten Sample-Test in Echtzeit geschrieben, der dann sehr detailliert vom Lehrer ausgewertet wurde. Danach weiß jetzt jeder ganz genau über seine Schwächen Bescheid und kann die verbleibenden Monate bis zum JLPT gezielt zuhause an diesen Schwachpunkten arbeiten.
Im ersten Unterrichtsteil haben wir täglich eine 2-seitige Wortschatzliste durchgearbeitet und danach einen kleinen Test dazu geschrieben, der umgehend ausgewertet wurde.
Im zweiten Teil haben wir immer Ausschnitte aus originalen Hörverständnis-Tests der letzten Jahre gemacht und diese anschließend besprochen. Dabei wurden sehr praktische Tipps gegeben und eine gewisse Systematik hinter all den Hörbeispielen verdeutlicht.
Die dritte tägliche Einheit war ganz grammatischen Phrasen gewidmet. Die kommen im Originaltest zwar erst am Ende des dritten Teils nach dem Leseverständnis dran, es wurde uns aber dringend empfohlen, diese kurzen Grammatik-Fragen auch im Originaltest auf jeden Fall vor den längeren Textverständnis-Fragen zu machen. Die Strategie macht auch Sinn, denn diese Grammatik-Phrasen sind einfach nur Lernsache, und wenn man die richtig gut drauf hat, kann man die ganzen Grammatik-Fragen in 15 Minuten abhaken und hat dann wirklich viel Zeit und Ruhe für die langen Texte davor. Dieses Timing wurde uns im Kurs richtig eingeimpft. 30 Grammatik-Fragen, d.h. für jede Frage nicht mehr als 30 Sekunden verplempern. Vor diesem Drill haben wir täglich 12 grammatische Phrasen aus dem Arbeitsbuch
完全マスター1級 (wurde gestellt) ausführlich vom Lehrer erklärt bekommen und besprochen. Wir sind so im Laufe der 3 Wochen komplett durch das ganze Buch gekommen.
In der vierten Unterrichtseinheit haben wir zunächst kürzere, dann immer längere und davon auch immer mehr hintereinander in einer festgelegten Zeit zu absolvierende Texte lesen, und dazu entsprechende Fragen beantworten müssen. Die Texte waren entweder aus alten Originaltests oder aus irgendwelchen Arbeitsbüchern zur Vorbereitung des JLPT, von denen es in japanischen Buchhandlungen einige gibt. Nachher haben wir dann immer unsere Ergebnisse besprochen, besonders schwierige Texte aufgedröselt, und auch hier Strategien zur Lösung solcher Textverständnis-Fragen an die Hand bekommen.
Die Hausaufgabe bestand eigentlich regelmäßig nur darin, den Stoff für die nächsten Tag vorzubereiten, Vokabeln und Zeichen im Vorfeld zu klären usw. Das hört sich nach nicht viel an, ich habe aber täglich (auch am Wochenende) etliche Stunden damit zugebracht, sonst hätte ich dem Kurs nicht folgen können und längst nicht soviel davon gehabt.
Natürlich kann in diesen 3 Wochen nicht jeder dahin geführt werden, den echten Test zuverlässig zu bestehen, wenn er am letzten Tag des Kurses stattfinden würde. Die Lehrer haben auch von Anfang an betont, dass dieser Kurs zunächst dazu diene, uns mit Material zu füttern und unsere Schwächen aufzuzeigen. Meine Schwächen wurden denn auch erbarmungslos aufgedeckt (und zwar nicht vor den anderen Kursteilnehmern, sondern vor mir selbst), und dafür bin ich sehr dankbar. Lediglich eine Teilnehmerin konnte nach Abschluss des Kurses ziemlich sicher sein, dass sie den Test schaffen wird. Mir selbst bleibt noch eine Menge Arbeit, aber ich weiß jetzt ganz genau, welche.
Wir waren eine überschaubare und sehr motivierte Gruppe von 6 Leuten (2 Amerikaner, 1 Kanadier, 1 Indonesier u. 2 Deutsche), 3 Frauen und 3 Männer. Alle waren jünger als ich und außer mir leben alle schon mindestens seit 2 Jahren in Japan. Deshalb konnten sie alle auch etwas besser Japanisch sprechen und verstehen als ich, aber ich bin doch einigermaßen mitgekommen. Dafür hatte ich im Vergleich zu den anderen die Kanji relativ sicher drauf (ich weiß, jetzt stinkts hier etwas). Jedenfalls waren das ideale Lernvoraussetzungen von der Gruppe her. Alle haben sich große Mühe gegeben, soviel wie möglich mitzunehmen, und trotz des hohen Kurstempos haben alle sehr konstruktiv mitgemacht und keiner hat "gebremst".
Fazit: Sehr empfehlenswert!
Obwohl man in diesem Kurs eigentlich nur mit Wissen für den Test gefüttert werden sollte, so treten doch leicht Nebenwirkungen auf. Ich kann nach diesen 3 Wochen jedenfalls deutlich schneller Japanisch lesen und - oha - auch ein wenig besser verstehen und sprechen! Außerdem bin ich um die schöne Erinnerung bereichert, dass es irgendwo in der Nähe von Shinjuku in Tōkyō ein kleines Klassenzimmer in einer kleinen Sprachschule gibt, die ich einmal 3 Wochen lang auch bei größter Sommerhitze täglich um 9 Uhr mit einem sehr angenehmen Gefühl betreten habe…